Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
Kopf zu sein.
»Mein Körper wird erstarren und sich mit der Zeit in seine chemischen Bestandteile auflösen. Aber
das meinen Sie ja wohl nicht, oder? Sie wollen wissen, wie ich über meine angebliche Seele denke.
Darauf will ich Ihnen eine Antwort geben. Es gibt keine Seele. Der Tod ist lediglich das Ende des
Bewußtseins. Nach dem Tod kommt nichts mehr. Es ist wie eine Kerzenflamme, die ausgelöscht wird,
das Leben verschwindet. Auslöschung.«
»Kein Leben danach? Sie halten den Tod also nicht für einen Übergang in eine geistige
Existenz?«
Der Mann schnaubte verächtlich. Langsam sackte er, vom Blutverlust zunehmend geschwächt, immer
tiefer in seine Wanne, doch sein Geist blieb wach. »Der Tod ist ein Übergang in eine
intellektuelle Nicht-Existenz.«
»Macht Ihnen das Angst?«
»Warum sollte es? Fürchten sollte ich doch allenfalls den Tod anderer, denn der kann mir
Unbequemlichkeit und Trauer bescheren. Wenn ich selbst dahinscheide, dann bin ich ja aus der
Sache heraus, da mache ich mir keine Gedanken mehr.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, konterte Zane.
Der Mann schnitt eine Grimasse. »Verdammt, Sie wollen es aber wohl wirklich wissen! Ja, mein
eigener Tod jagt mir durchaus Angst ein. Aber ich weiß, daß das lediglich mein
Selbsterhaltungsinstinkt ist, der Versuch meines Körpers, zu überleben. Subjektiv fürchte ich
mich vor der Auslöschung, weil der Instinkt eben irrational ist. Objektiv dagegen tue ich es
nicht. Ich habe schließlich keine Angst vor der Nicht-Existenz vor meiner Zeugung, warum sollte
ich da die Nicht-Existenz nach meinem Tode fürchten? Also habe ich mich über die Narreteien des
Fleisches hinweggesetzt und gehe nun meinem Ende entgegen.«
»Wäre es Ihnen keine Erleichterung, zu erfahren, daß das Leben auf der geistigen Ebene
weitergeht?«
»Nein! Ich will nicht, daß das Leben in irgendeiner Form weitergeht! Welche Ungewißheiten oder
Qualen würden dort auf mich vielleicht lauern? Welch eine Langeweile, auf Ewigkeit, ohne jede
Erlösung, in dem sterilen Konzept eines Himmels leben zu müssen, den sich ein anderer ausgedacht
hat! Nein, mein Leben ist das einzige Spiel, das ich spiele, und dieses Spiel ist fade geworden.
Ich möchte nichts anderes, als es beiseite legen zu können, wenn es mir nichts mehr einbringt.
Die Auslöschung ist das größte Geschenk, auf das ich hoffen kann, und der Himmel selbst wäre für
mich die reine Hölle, wenn man mir dieses Geschenk verweigerte.«
»Ich hoffe, daß Sie es bekommen«, sagte Zane, von dieser ungewöhnlichen Weitsicht erschüttert.
Ein Mensch, der tatsächlich auf Auslöschung bestand!
»Das hoffe ich auch.« Nun verlor der Atheist immer schneller an Kraft. Der Blutverlust
beeinflußte schon sein Bewußtsein, und schon bald würde er in Ohnmacht fallen. »Der Tod eines
Menschen ist der intimste Augenblick seines Lebens«, bemerkte Zane. »Sie haben das Recht, zu
sterben, wie Sie wollen.«
»Das ist richtig.« Die Stimme war mittlerweile träge und schwach geworden. »Es geht niemanden
etwas an außer mir.«
»Aber meinen Sie denn nicht, daß Sie sich Gedanken über Ihr Leben machen sollten, über den Sinn
Ihres Lebens, über den Standort, den Sie im übergeordneten Muster der Dinge einnehmen? Bevor Sie
Ihre einzige Chance verschleudern, sich zu bessern...«
»Warum, zum Teufel, soll ich mir Gedanken über Besserung machen, wenn ich nicht an Himmel oder
Hölle glaube?« wollte der Atheist mit schwacher Stimme wissen.
»Und doch gehen Sie davon aus, daß Ihre eigene Erlösung alles ist, was Wichtigkeit hat«,
erwiderte Zane. »Was ist mit jenen Menschen, die Sie lieben, die jetzt weiterleben müssen?
Menschen, die Sie lieben und die dann Ihre Leiche hier vorfinden werden, was ist mit ihrem
Entsetzen? Die werden immer noch weiterleiden müssen. Schulden Sie ihnen denn gar
nichts?«
Aber der Atheist war in seinem Zustand schon zu weit fortgeschritten. Er hatte das Bewußtsein
verloren und scherte sich nicht mehr darum, wer vielleicht noch leiden mußte, sofern er es
überhaupt jemals getan hatte. Bald darauf starb er.
Zane griff in den Körper hinein und zog die Seele hervor. Sie sah typisch aus: Gut und Böse
befleckten sie in einem komplizierten Mosaik. Er wollte sie gerade zusammenfalten da zerfiel die
Seele und löste sich völlig auf.
Der Wunsch des Atheisten war ihm gewährt worden. Er hatte wirklich nicht geglaubt, und so war es
dem jenseitigen Leben unmöglich gewesen, ihn
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