Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
fangen ohne dich an, machen
ein Vorspiel, und dann, wenn du bereit bist, dann setzt du ein. Wie Onkel Tom hier schon meint,
wir schaffen das schon.«
Sie gewährte ihm ein leises Lächeln. Die Musik begann, nach den Trommeln setzte die Gitarre ein,
und ihr Dröhnen hallte wie anschwellender Donner durch die Fenster, als die Polizisten die Treppe
hinaufstürmten, Schlagstöcke wehrbereit in den Händen haltend. Die Chormädchen wichen verängstigt
zurück, sie waren nicht auf einen Körperkontakt mit den großen, brutalen uniformierten Männern
erpicht.
Zane zog seinen Umhang enger und trat heraus, um von Totenschädel zu Angesicht mit dem Anführer
der Polizisten zu sprechen. »Ist etwas?« fragte er.
Die Augen des Polizisten weiteten sich, und die Kieferlade klappte ihm herunter, als er dem Tod
ins Auge blicken mußte.
Er stürzte buchstäblich zurück und mußte von zwei seiner Hintermänner aufgefangen werden.
Plötzlich hatte das Gesetz es gar nicht mehr so eilig, sich einzuschalten.
Das Trommeln wurde zur Hintergrundmusik, und der richtige Gesang begann. »Heilig, heilig, heilig!
Allmächtiger Gott!« sang Lou-Mae, zunächst mit etwas zitternder Stimme, doch dann mit wachsendem
Mut, als sie den Namen des Herrn ausprach. Irgendwie verlieh die Lautsprecher- und
Verstärkeranlage ihr eine Resonanz und Autorität, die ihrer Stimme sonst möglicherweise gefehlt
hätte.
Das Trommeln hinter ihr grollte wie der wachsende Zorn der Gottheit, und mit einem improvisierten
Kontrapunkt unterstrich die Gitarre dieses Thema noch.
»Früh am Morgen soll unser Gesang zu Dir emporhallen!«
Und die elektronische Orgel schwoll an in freudigem Gottesdienst und hörte sich genauso an wie
die monströsen Orgelpfeifen in einer riesigen Kathedrale.
Auf der Straße wuchs die Menge schnell an. Einige der Polizisten versuchten, die Leute
zurückzudrängen. Es war schon später Vormittag, doch die hochaufragenden Gebäude der Umgebung
schützten die Straße vor dem direkten Sonnenlicht. Nun, da das Licht in schrägem Winkel einfiel,
ließ ein breiter Strahl die fahlen Helme der Polizei und die Gesichter der Leute aufleuchten und
erhellte sie, als sei dies tatsächlich der Anbruch eines neuen Tages oder gar eines neuen
Zeitalters.
»Nur Du allein bist heilig, alle Heiligen verehren Dich.« Das Lied hallte hinaus, überflutete die
Nachbarschaft, vibrierte zwischen den Gebäuden. Instrumente und Stimmen hatten zu einer
vollkommenen Harmonie gestanden, als hätten die Musiker schon jahrelang fleißig geübt.
»Und nehmen ab ihre güldenen Kronen, und lassen das glasklare Meer erstrahlen!« Und die
Polizisten, trotz ihres Zynismus von der Großartigkeit des Ganzen wie benommen, von dem
dröhnenden Klang erschüttert, begannen ihre vom Sonnenlicht golden schimmernden Helme abzunehmen.
Die Menschen der Menge folgten ihrem Beispiel, einem zwingenden Gefühl gehorchend, das sie nicht
verstanden.
Schon einen Augenblick später war jeder Kopf unbedeckt.
»Cherubim und Seraphim fallen vor dir auf die Knie!«
Worauf eines der leichter zu beeindruckenden Chormädchen an der Tür verzückt aufschrie und auf
dem Gehsteig niedersank.
Nachdem er erst einmal ausgelöst worden war, breitete sich der Effekt explosionsartig aus.
Überall schrieen Menschen in der Menge auf und stürzten nieder, und sogar einige Polizisten taten
dasselbe.
Die Musik wurde zu einer donnernden Autorität, Trommeln und Orgel ließen die Gebäude erzittern,
durchtosten die Menge, machten aus dem gesamten Häuserblock einen Ort des Gottesdienstes. Einige
Menschen standen aufrecht, andere knieten, andere lagen auf der Straße. Doch alle hielten sie die
Blicke verzückt auf das Pflegeheim gerichtet und lauschten den erstaunlichen Klängen.
»Der war und ist und immer sein wird!«
Dann endete die Hymne, und mit einem immer leiser werdenden Trommelwirbel erstarb die Musik, von
einer nachhallenden Orgelnote begleitet, als würde Gott sich zu einem anderen Ort begeben. Die
halbe Menge und sämtliche Chormädchen waren am Boden, und die Polizisten hingen mit
weitaufgerissenen Augen ihren persönlichen Visionen nach. Niemand gab auch nur das leiseste
Geräusch von sich.
Zane wandte sich wieder nach innen. Die Heimbewohner saßen benommen da, ebenso der
Krankenpfleger. Der Drummer und Lou-Mae tauschten einen ehrfurchtsvollen Blick aus. Der Prediger
hielt die Augen gen Himmel gerichtet, die Hände gefaltet, in stummem Gebet.
»Jeeesus«, murmelte der
Weitere Kostenlose Bücher