Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
der alte
Mann, und die anderen stimmten ihm zu.
Zane dachte kurz nach. In den unteren Etagen des Krankenhauses konnte er Schritte hören, Leute,
die gemerkt hatten, daß irgend etwas nicht stimmte. Es blieb nicht mehr viel Zeit.
Er hatte seinen ihm vorgeschriebenen Auftrag erledigt; er hatte die Seele der alten Frau
eingesammelt und auf seine Weise den Mord an seiner Mutter wieder gutgemacht. Nun hatte er offen
getan, was er zuvor nur im Geheimen gewagt hatte. Er hatte bewiesen, daß selbst der Tod
persönlich dieselbe Entscheidung getroffen hätte wie er, Zane, sie schon vor langer, langer Zeit
durchgeführt hatte. Doch hatte er auch seine Verpflichtung als Mensch erfüllt? Diesen Leuten hier
verweigerte man ihr Grundrecht: das Recht, das Leben fahren zu lassen.
»Ihr wißt ja, daß dies ein Massenmord wäre«, sagte er.
»Barmherzigkeit wäre das!« konterte der alte Mann. »Meine Enkeltochter ist bald ruiniert, weil
sie für mich aufkommen muß, und das nur, weil der Arzt meint, sie müsse es tun - und wofür? Für
das hier etwa? Für die Ewigkeit in einem Krankenhaus? Zu krank, um sich noch von der Stelle
rühren zu können, ganz zu schweigen davon, das Leben zu genießen? Nein, die Hölle kann nicht
schlimmer sein als das hier - und selbst wenn sie es sein sollte, würde ich sie trotzdem wählen!
Wenigstens hätte ich vielleicht dort die Möglichkeit, zurück zu schlagen, mich zu wehren. Laß
mich frei, Tod! Es sind nicht nur wir Patienten, die hier leiden, unseren Familien geht es
schließlich genauso. Sie werden zwar eine Weile weinen, aber bald sind sie darüber hinweg und
vielleicht haben sie danach noch etwas, woran sie gerne zurückdenken.«
Zane fällte seinen Entschluß. Er war ohnehin schon zur Hölle verdammt, weil er sein Amt
mißbraucht hatte. Was hatte er da schon noch zu verlieren? Er wollte tun, was richtig war,
unabhängig von den Konsequenzen. Diese Leute hier waren ebenfalls seine Klienten.
Er schritt zu dem Maschinenraum der Station hinüber. Dort fand er den Hauptsicherungskasten. Zane
kippte alle Schalter In der Intensivstation erlosch der Strom. Finsternis umhüllte alles. Die
Maschinen stellten ihre Arbeit ein. Sofort ertönten Schreie. Krankenhauspersonal kam
hereingestürzt.
Irgend jemand suchte sich in der Dunkelheit den Weg zum Sicherungskasten, doch Zane blieb davor
stehen.
Die Krankenschwester spürte, wie sich eine Skeletthand um die ihre legte und sie von dem Kasten
fortdrückte. In nacktem Entsetzen schrie sie los.
»Das ist das Entsetzen, mit dem Sie diese Patienten gequält haben«, sagte Zane zu ihr. »Bei
lebendigem Leibe tot zu sein.«
Diesmal konnte niemand mehr rückgängig machen, was er getan hatte.
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7. Kapitel
Karneval der Gespenster
Wenige Tage später, Zane hatte inzwischen sein Pensum wieder aufgeholt, besuchte er Luna aufs
neue.
Diesmal Lächelte sie, als sie ihn erblickte.
»Komm rein, Zane. Ich bin gleich fertig.«
»Fertig?«
»Du wolltest mich doch ausführen, weißt du das nicht mehr? Irgendwohin, wo es interessant ist,
damit wir uns nicht gegenseitig langweilen.«
Eigentlich hatte Zane mehr daran gedacht, sich mit ihr zu unterhalten, denn ihr letztes Gespräch
hatte ihn zutiefst berührt, doch das wollte er lieber nicht laut sagen. Gewiß, einige Aspekte
ihres Gesprächs waren geradezu unangenehm ehrlich gewesen, und der Gedanke daran, wie sie den
Dämon bezahlt hatte, machte ihm immer noch schwer zu schaffen.
Andererseits hatte sich ein erheblicher Teil seiner Selbstzweifel und seines Ekels vor sich
selbst seit ihrer letzten Begegnung gemildert, und er hoffte, daß dies bei zukünftigen
Begegnungen ebenfalls geschehen würde. Wie konnte er schließlich etwas an ihr aussetzen, nach
allem, was er in dem Krankenhaus getan hatte? Das hatte für äußerst häßliche Schlagzeilen sowohl
auf der Erde als auch im Fegefeuer gesorgt!
Während er auf sie wartete, betrachtete er Lunas Gemälde.
Sie waren einfach schön. Luna war viel mehr Künstlerin, als er es je gewesen war. Die Farben
waren klar und echt, und die Auren sahen realistisch aus. Es fiel schwer zu glauben, daß eine
Person, deren Seele inzwischen der ewigen Verdammnis in der Hölle verschrieben war, derart
ausgezeichnete Arbeit leisten konnte. Er begann, Luna mehr zu mögen - und als er dies erkannte,
fragte er sich andererseits wiederum, warum der alte Magier gewollt hatte, daß die beiden sich
kennenlernten.
Gewiß lag es nicht nur daran, daß sie zueinander
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