Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
Gitarrist. »Wir haben ja unser ganzes Leben lang danebengelebt!«
»Wer zur H braucht da noch H!« stimmte der Keyboardspieler ihm zu. »Auf so einem Trip war ich
noch nie!«
Zane schritt zu seinem Klienten hinüber. »Jetzt ist es Zeit«, sagte er und aktivierte wieder
seine Stoppuhr. »Sind Sie zufrieden?«
Der alte Mann lächelte. »Das kann man wohl sagen, Tod! Ich hatte gerade eine Vision vom
allmächtigen Gott! Egal, was jetzt noch im Leben folgen könnte, es würde dem gegenüber nur
abfallen. Ich habe zwei meiner Freunde hier gesehen, die bereits fortgegangen sind.« Er brach
zusammen, und Zane griff schnell nach seiner Seele.
Als er zur Tür zurückschritt, begannen die Menschen sich langsam zu erholen. Der Prediger fing
Zanes Blick auf.
»Manche Leute glauben wirklich, daß der Herr nicht eingreifen würde«, bemerkte er leise, als
seien ihm Zanes eigene Zweifel bewußt.
Zane wußte darauf keine Antwort. Er trat hinaus, an den Chormädchen vorbei, die sich langsam
wieder aufrichteten, und schritt durch die stumme Menge zu seinem Pferd hinüber.
Da fuhr ein weiteres Fahrzeug vor, an der Seite das Wappen des staatlichen Sozialamtes.
Anscheinend hatte der Menschenauflauf die zuständigen Behörden aufgerüttelt, und nun würde eine
Inspektion des Pflegeheims und seiner Leitung folgen.
Zane gönnte sich ein Lächeln. Die Beamten würden einen oder sogar mehrere tote Männer vorfinden,
die an ihre Stühle gefesselt waren, in einem nach Urin stinkenden Raum, wo weder Musik noch
andere Unterhaltung gestattet war.
Vorschriften, die derart streng waren, daß man sogar die Polizei hatte herbeirufen müssen, um
ihnen Geltung zu verschaffen. Zane bezweifelte, daß dies einen guten Eindruck auf die Inspektoren
machen würde. In diesem Pflegeheim würden erhebliche Reformen stattfinden müssen, und das Los
seiner Insassen würde erheblich verbessert werden.
Sein nächster Klient lebte auf dem Land. Mortis nahm wieder seine Todesmobilgestalt an und fuhr
die Superautobahn entlang, da die Zeit nicht knapp war. Zane las die Werbeplakate und erkannte,
daß hier ein Anzeigen- und Werbekrieg stattfand.
WARUM EIN LANDGEBUNDENES AUTO FAHREN, WENN MAN AUCH EINEN FLIEGENDEN TEPPICH HABEN KANN? fragte
das erste Plakat in riesigen, leuchtenden Lettern. Es zeigte ein Automobil, das sich durch einen
Stau mühte, während ein fliegender Teppich geschmeidig über diesen hinwegflog, darauf eine
gutaussehende, lächelnde Familie.
Zane lächelte ebenfalls. Auch er war im Augenblick an ein Automobil gefesselt - doch er würde
niemals in einen Stau geraten. Nicht mit Mortis! »Hast du mir das hier bloß gezeigt, damit ich
dich besser schätzen lerne?«
Der Wagen antwortete nicht, aber der Motor schnurrte.
Das nächste Plakat verkündete: BEQUEM FAHREN! Das Bild zeigte eine Familie, die sich auf einem
fliegenden Teppich in einem Sturm zusammenkauerte. Der Mann sah grimmig und ungemütlich aus, die
einstmals elegante Frisur der Frau war nur noch eine feuchte, an den Kopf geklatschte Haarmasse,
und eines der Kinder glitt gerade hinten vom Rand und drohte, in die Tiefe zu stürzen. Das
Material des Teppichs kräuselte sich offensichtlich zusammen und schien zu schrumpfen, was das
Unbequeme der Situation noch verschlimmerte und die Gefahr, in der die Familie ohnehin schon
schwebte, vergrößerte.
Darunter konnte man dieselbe Familie glücklich in einem geschlossenen Wagen erblicken, sicher
angeschnallt, vom Regen unberührt.
»Also wehren sich die Wagen auch«, bemerkte Zane. »Ich verstehe.« Er sah auf seine Uhr. Er hatte
noch einige Minuten Zeit.
Auf dem nächsten Plakat segelte der Teppich fröhlich über eine Regenwolke, die einen
darunterliegenden Autostau größtenteils in Finsternis hüllte. BABYLON-TEPPICHE SIND BESSER ALS
JEDES LANDFAHRZEUG! verkündete die Reklame. MEHR KILOMETER PRO ZAUBER.
Doch die Automobilhersteller revanchierten sich mit einem Bild von einer Familie, die an Bord
eines hochfliegenden Teppichs nach Luft japste, während unten der Wagen die freie Autobahn
entlangraste. SICHER FAHREN, BEQUEM FAHREN, riet das Plakat. WAGEN STATT TEPPICH.
Vielleicht wurde der Anzeigenkrieg noch fortgesetzt, aber Zane mußte abbiegen, um zu seinem
Klienten zu gelangen. Er kam in ein ländliches Wohngebiet; die Häuser glichen einander
ausnahmslos, die Wiesen waren sehr gepflegt. Zane fragte sich, warum sich Menschen die Mühe
machten, aufs Land zu ziehen, wenn sie in Wirklichkeit doch nur die Stadt
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