Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
Tragödie bewußt wurde. Auch Luna war
völlig erschüttert. »Ich hätte erkennen müssen...«, sagte sie, die Augen auf die nun reglosen
Füße des Mädchens gerichtet. »Ich habe genug Magie kennengelernt, um die Gefahren zweitklassiger
Zauber zu kennen! Du bist ja schließlich beruflich hierhergekommen...«
»Und wenn du diese Tanzschuhe angezogen hättest...«, begann Zane.
»Das auch! Aber ich bin eine Magiertochter und ich kenne die Art von... aber ich habe einfach
nicht nachgedacht.«
Mortis kam näher, und sie saßen auf. Niemand bemerkte es.
Der Wettbewerb zwischen Gitarre und Tanzschuhen hatte keinen Sieger hervorgebracht, nur eine
Verliererin.
»Und nun zur Natur, Todeshengst«, befahl Zane und hielt seine Stoppuhr an. »Ich nehme an, du
kennst den Weg.«
Dem war auch so. Mortis sprang mit einem Satz hinaus aus dem Tanzsaal in den Himmel hinauf.
»Ich weiß ja, daß der Tod unabdingbar zum Leben gehört«, sagte Luna, die hinter Zane saß,
»allzubald werde ich das selbst erfahren müssen. Aber irgendwie tut es noch mehr weh, wenn man es
persönlich mit ansehen muß... wenn man tatsächlich sogar daran teil hat...«
»Ja.«
Wie gut er das wußte!
»Ich wünschte, ich hätte mich nicht bereit erklärt, bei diesem Wettbewerb den Schiedsrichter zu
machen. Dann könnte dieses Mädchen immer noch am Leben sein.«
»Nein, das Sterben war ihr bestimmt. Du hast daran nicht wirklich teilgehabt. Um genau zu sein,
du hast eine Rolle gespielt, die sonst ein anderer wahrgenommen hätte; was du getan hast, hat
nichts geändert.«
»Sie war so unschuldig!«
»Sie war zu fünfzig Prozent böse. Es ist unsinnig zu glauben, daß die Behinderten frei von Sünde
sind; sie sind ebenso verschieden wie die nichtbehinderten Menschen. Ich weiß zwar nicht, was sie
an den Punkt des Ausgleichs geführt haben mag, aber...«
»Ach, du weißt doch genau, was ich meine! Sie mag vielleicht Böses in ihrem Leben getan haben,
wie wir alle, aber sie hat es nicht verdient, derart grausam sterben zu müssen. Von verzauberten
Tanzschuhen binnen einer Minute zu Tode gehetzt! Das Herz muß ihr ja förmlich geplatzt
sein!«
Zane antwortete nicht. Er war ihrer Meinung. Seine Einwände gegen das vorherrschende System der
Lebensbeendigung und Seelenbeurteilung wuchsen von Tag zu Tag.
»Ich wünschte, ich wüßte, welchen Sinn das alles hat«, meinte Luna.
»Diese beiden Männer müssen gewußt haben, daß ihre beiden Produkte gefährlich waren«, murmelte
Zane. »Deshalb haben sie sie auch an unwissenden Dritten ausprobiert. Magie in der Hand von
Amateuren kann tödlich sein.«
Vor dem Zuhause der Natur blieb das Pferd stehen. Es war ein großer grüner Wald, in den eine
Straße hineinführte. Vor der tunnelartigen Öffnung parkte ein niedriger, windschnittiger Wagen
ohne Verdeck.
Mortis blieb stehen. »Du darfst hier nicht herein?« fragte Zane das Pferd. »Na, aber wenigstens
wirst du ja hier wohl grasen können.« Die Weide vor dem Waldstück sah üppig aus.
»Luna und ich können ja mit dem Wagen hineinfahren; ich nehme an, dazu ist er auch
gedacht.«
Doch der Wagen erwies sich als Einsitzer, für Luna war darin kein Platz. »Ich glaube, die Natur
möchte dich allein sehen«, bemerkte Luna. »Ich werde hier auch warten.«
»Wenn sie mir nur genug Zeit gelassen hätte, dich nach Hause zu bringen...«, sagte Zane
irritiert. »Mutter Natur hat so ihre Eigenarten... wie wir alle.« Zane war zwar nicht befriedigt,
mußte sie aber zurücklassen. »Mortis, behalte ein Auge auf sie!« rief er, und das schwarze Pferd
wieherte zustimmend. Zane bezweifelte, daß irgendeine natürliche Kraft sie bedrohen würde,
während der Todeshengst über sie wachte.
»Und nun versuch bloß nicht, dich mit dieser Frau anzulegen«, warnte Luna ihn. »Vergiß nicht, daß
du es nicht mit einer gewöhnlichen Person zu tun hast.«
War sein Zorn so leicht zu erkennen? Zane zog seinen Umhang fester zusammen und kletterte in den
kleinen Wagen.
Dann blickte er noch einmal zu Luna zurück, die dort auf dem Feld stand, ganz schlank und
wunderschön, mit glitzernden Juwelen an Kopf und Zehen, ein Traum von einer Frau.
Verdammte Natur, daß sie ihn von ihr trennte, und sei es auch nur für kurze Zeit!
Die Bedienungselemente des Wagens waren ganz normal. Er startete den Motor, legte den Gang ein
und folgte dem Asphaltweg in den Wald hinein. Über ihm schlossen sich die Baumwipfel und bildeten
einen lebendigen Baldachin. Es war eine angenehme
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