Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
Aber es leuchtet ja wohl ein, daß derjenige, der die
meisten Seelen erhält, auch die größte Macht hat. In dem Reich, wo Gold verblaßt, sind Seelen
eben Reichtum.«
»So kann das aber nicht sein«, widersprach Zane beunruhigt.
»Vielleicht jagt Satan ja den Seelen nach, aber Gottes Anliegen ist das wahre Wohlergehen des
Menschen.«
»Wie kommt es dann, daß Gott dem Menschen nie unmittelbar hilft?« verlangte Molly zu wissen.
»Satan hat seine Helfershelfer überall, sie säen Zweifel, Hader, Zwietracht, bewirken Unheil,
veröffentlichen Anzeigen für die Hölle, und so weiter. Gott dagegen hält sich distanziert.«
»Gott hält sich eben an den Vertrag«, sagte Luna. »Satan dagegen betrügt. Es sollte keinen
Eingriff des Übernatürlichen geben. Der Mensch soll selbst über sein Schicksal herrschen, indem
er sich mit freiem Willen zu einer bestimmten Art von Leben entschließt.«
»Wenn du das glaubst«, bemerkte Molly, und ihr Gossenakzent von früher trat wieder stärker
hervor, »dann mußt du so ziemlich auch alles andere glauben.«
Nun fuhr der Wagen durch einen unsichtbaren Vorhang wieder hinaus auf das Karnevalsgelände. »Das
war aber wirklich eine schöne Rundfahrt«, sagte Zane höflich, obwohl er nicht sehr viel
Aufmerksamkeit aufgebracht hatte.
»Und dabei war das erst der Anfang!« sagte Molly und zerrte sie zu dem gespenstischen, gräßlichen
Horrorhaus. Das Erlebnis dort war natürlich fürchterlich, denn die Gespenster dort wußten
wirklich, wie man Sterbliche in Angst und Schrecken versetzt, doch immerhin nutzte Luna die
Dunkelheit, um Zane einen solchen leidenschaftlichen Kuß zu verpassen, daß dies die Gespenster
ihrerseits entsetzte.
Wenigstens glaubte Zane, daß es Luna war.
Sie aßen gespenstische Zuckerwatte und besuchten den Dinosaurierzoo, wo die größeren
fleischfressenden Tiere Maulkörbe trugen, was sie ganz eindeutig ärgerte. Dann versuchten sie,
eine wertvolle Puppe zu gewinnen, indem sie mit Hilfe einer gläsernen Lanze einen Rauchring
einzufangen suchten. Es funktionierte nicht: Der Ring brach in Scherben, und die Lanze löste sich
in Rauch auf. Schließlich fuhren sie durch den Liebestunnel, und hier mußte Molly sie alleine
fahren lassen, weil das Boot nur für zwei Personen war.
Mittlerweile war es Zane durchaus zufrieden, mit Luna allein sein zu können. Vielleicht lag es an
dem hypnotischen Effekt des ständigen Lärms und des bunten Jahrmarkts oder an dem Wissen, daß sie
nur noch sehr wenig Zeit zur Verfügung hatten, oder daran, daß Luna sanft und schön war - aus
welchem Grund auch immer, jedenfalls stellte er fest, daß ihm vor Freude an ihrer Nähe geradezu
schwindelte und daß er der Liebe so nahe war wie noch nie zuvor. Sie trieben durch den ruhigen
Wasserkanal; als die stille Dunkelheit sie umhüllte, hielten sie Händchen und küßten sich wieder,
und das war angenehmer als alles andere, was er mit einer anderen Frau vielleicht hätte tun
können. Und dann, es schien nur einen Augenblick später zu sein, kamen sie wieder aus dem langen
Tunnel hervor, war die Reise zu Ende.
Es war genug. Sie luden Molly Malones Schubkarre aus dem Wagen und stiegen ein, um nach
Kilvarough zurückzufahren.
Es war ein gutes Rendezvous gewesen.
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8. Kapitel
Die Grüne Mutter
Auf dem Armaturenbrett blitzte eine Lampe auf. Das bedeutete, daß Mortis dem Tod etwas zu
sagen hatte. »Halt dich fest«, sagte Zane zu Luna. »Wir werden gleich auf dem Todeshengst
sitzen.«
»Ich liebe Pferde«, sagte sie. »Im Grunde meines Herzens bin ich ein kleines Mädchen.«
Er drückte auf den Knopf, und schon saßen sie auf dem Hengst, Luna hinter ihm. »Was ist los?«
fragte Zane. »Ich habe meine Stoppuhr abgestellt; mein Arbeitspensum habe ich einigermaßen
aufgeholt, und ich möchte meinem nächsten Klienten durchaus noch ein paar Stunden Leben
gönnen.«
Doch das Pferd wieherte drängend und schlug mit seinem Schweif umher.
»Idiot - schallte deinen Übersetzer ein«, murmelte Luna.
Hastig drückte sich Zane den Dolmetschstein ins Ohr. Es war sehr unbequem, ihn ständig zu tragen,
da er sein Ohrläppchen nie hatte durchbohren lassen, um ihn als Ohrring anlegen zu können, und
während seiner Freizeit legte er ihn meistens ab.
Er war gar nicht auf den Gedanken gekommen, daß er sich mit seiner Hilfe mit Mortis unterhalten
könnte!
»Die Natur ruft dich«, sagte die wiehernde Stimme.
»Ich kann warten, bis ich zu Hause bin«, murmelte Zane, an Luna
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