Inkarnationen
Wahnsinn durch eigenes Ein-greifen zu unterbinden.«
»Sondern?«
»Wäre es nicht geschickter, einen Einzelnen unter jenen, die den Krieg schüren, zur Einsicht zu bringen, auf daß er andere bekehrt und seine gewonnene Sicht der Dinge mit ihnen teilt?«
»Ein langwieriges Unterfangen .«
»Aber auch ein lohnendes. Denn wer die eigene Dummheit verstanden hat und sie ablegt, wird keinen anderen damit vergiften. Und er wird sie auch nicht an seine Kinder und Kindeskinder weitergeben, sondern sie Klugheit und Vernunft lehren«, meinte ich überzeugt, ohne jedoch belehrend zu sein. So wie ich mir wünschte, daß die Menschen zur Einsicht gelangten, hielt ich es auch im Umgang mit meinesgleichen. Nur wer aus sich heraus zu verstehen imstande war, würde das Verstandene auch verinnerlichen und zur Erkenntnis erheben.
Doch mein Begleiter schüttelte den Kopf, zögernd, und in seinen Zügen entdeckte ich eine Art von Mißmut, die mir nicht nur nicht gefiel, sondern die mich auf unbestimmte Weise beunruhigte.
Eine Weile gingen wir stumm nebeneinander her. Ich überlegte, ob ich meinen Worten noch ein wenig Nachdruck verleihen sollte und wollte es schließlich auch tun, als mein Begleiter das Schweigen brach.
»Manchmal wünschte ich, wir würden unsere Macht in stärkerem Maße gebrauchen.«
»Wir könnten sie allzu leicht mißbrauchen«, gab ich zu bedenken.
»Wer will solchen Mißbrauch definieren?« entgegnete er.
»Wir selbst müßten es tun.«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, was sollten wir uns vorwerfen, die Menschen auf den rechten Pfad zu führen. Angst etwa wäre ein recht geeignetes Mittel, sie zur Besinnung zu bringen. Und wenn sich aus ihrem Volk niemand findet, der es zu führen vermag, dann sollten wir selbst diese Rolle übernehmen.«
Ich erschrak, ein kleines bißchen nur, und ich kaschierte es mit einem nachsichtigen Lächeln.
»Damit würden wir gegen alles verstoßen, was uns heilige Pflicht ist und bleiben muß.« Ich blieb stehen und wartete, bis auch er verhielt und sich zu mir umdrehte. »Denke über meine Worte von vorhin nach, und du wirst sehen, daß allein sie in Seinem Sinne sind«, sagte ich dann, bemüht, nicht in einen allzu beschwörenden Ton zu fallen.
»Ich werde darüber nachdenken«, erwiderte er. »Aber ich bin nicht sicher, ob ich deine Ansichten werde teilen können.«
Ich nickte zuversichtlich und wollte zu einer Entgegnung ansetzen, als mein Gegenüber sich abwandte und in einer dunklen Kluft verschwand, die eben noch nicht dagewesen war. In der von mir gestalteten Welt glich sie einem Felsspalt, in der seinen mochte sie eine gewöhnliche Tür oder eben etwas sein, das sich in die von ihm er-sonnene Illusion einfügte. Wie auch immer, das Ziel blieb sich gleich - er war hinübergegangen aus unserer Sphäre in die Welt der Menschen.
Ich sah es mit vager Sorge und sprach die Worte, die ich ihm noch hatte sagen wollen, doch aus, obgleich er sie nicht mehr hören konnte: »Du wirst zur Einsicht kommen, mein Bruder Luzifer .«
*
Unser Gespräch mochte der Anfang allen Übels gewesen sein.
Vielleicht hätte ich zu jenem Zeitpunkt die Zeichen richtig deuten und entsprechend handeln müssen.
Vielleicht hätte es in meiner Hand gelegen, den Lauf der Dinge zu verändern.
Vielleicht auch nicht .
Heute bin ich mir dessen fast gewiß, daß ich mit Worten nichts mehr aufzuhalten vermocht hätte. Andererseits scheint mir diese Gewißheit ebenso schal wie bitter. Denn im Grunde ist der zwanghafte Glaube daran wohl nichts anderes als der klägliche Versuch, mich von Schuld freisprechen zu wollen .
Wie sich alles im einzelnen fortentwickelt hatte, wußte ich nicht, zumindest nicht aus eigener Anschauung und Erfahrung. Manches von dem, was sich damals (und ich verwende dieses Damals in gänzlich anderem, tausendfach größerem Sinn, als irgendein Mensch es tun würde!) ereignet haben mußte, habe ich mir im nachhinein zusammengereimt, so es mir nicht von anderer Seite zugetragen worden war.
Alles in allem habe ich jedoch eine geradezu erschreckend lebendige Vorstellung von jenen Ereignissen, die Auftakt waren für das Ärgste, was je hatte geschehen können---
*
Die Menschheit war noch jung in jenen Tagen. Sie hatte die Macht, die ihr gegeben worden war, noch längst nicht in ganzer Fülle erkannt. Und so, wie die Menschen sich gebärdeten, würden sie es vielleicht niemals tun. Aus dem einfachen Grund, weil ihr Geschlecht nicht lange genug überdauern
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