Inkarnationen
einmal wir es schauen mochten. So war es also möglich, daß wir nebeneinander einhergehen konnten und doch ein jeder in seiner selbstgestalteten Welt blieb - in seiner ganz eigenen Idee einer Wirklichkeit.
Auf ähnliche Weise verhielt es sich mit unseren Gesichtern und Körpern. Auch sie waren kaum mehr als Maskerade. Der Jüngling an meiner Seite etwa war so wenig jung und von wohlfeiler Gestalt wie ich tatsächlich einem altgedienten Krieger glich, der seine Kraft noch lange nicht verloren hatte.
Daß wir unser Äußeres nach menschlichem Vorbild formten, mochte etliche Gründe haben, die ich entweder nie wußte oder längst vergessen habe. Das heißt ... eines möglichen Motivs entsinne ich mich doch: Vielleicht führen wir uns durch diese Gepflogenheit immer wieder vor Augen, wen zu schützen und zu helfen wir zu-rückgelassen wurden.
Es mochte aber auch so sein, daß wir uns den Menschen anglichen, um ihnen näher zu sein - näher als Ihm . Und somit meinten wir wohl, der Schritt, sich mit Ihm auf eine Stufe stellen zu wollen, müß -te uns zu groß erscheinen, als daß wir ihn wagen könnten.
So zumindest dachte ich.
Blinder Narr, der ich letztlich doch war ...
Staub und Stein knirschten unter unseren Schritten, als wir Seite an Seite dahingingen, und die Geräusche stiegen so schwerfällig an unser beider Ohren, als besäßen sie tatsächliches Gewicht. Denn mochten wir uns auch der Illusion hingeben, durch Landschaften zu gehen, so schritten wir doch nur über den öden Boden unserer ureigenen Welt und atmeten ihre spärliche Luft. Wir konnten sie nicht wirklich ändern und hätten es auch nie gedurft. Denn es hätte bedeutet, an Seiner Schöpfung selbst zu rühren.
»Er hätte die Menschen und ihre Welt nicht verlassen sollen. Noch nicht .«
Die Worte meines Gefährten drangen zu mir wie von weit her, obwohl er allenfalls zwei Schritte neben mir ging - aber eben doch nur zu gehen schien.
»Er hätte sie auf den rechten Weg bringen sollen«, fuhr er fort, als ich nur mit Schweigen antwortete. »Denn was die Menschheit treibt, kann nicht in Seinem Sinne sein. Sie treten Seine Gebote bei fast allem, was sie tun, mit Füßen. Sie töten einander, und Nächstenliebe scheint ihnen fremd, es sei denn, sie dient dem eigenen Nutzen .«
Ich vollführte eine Geste, als wär's mir gleich. Aber so war es freilich nicht. Mir lagen die Menschen nicht minder am Herzen als jedem anderen aus unserer Schar, allein deshalb schon, weil ich nicht anders empfinden konnte. Dennoch schien mein Verständnis für Seinen Willen ein klein wenig ausgeprägter als das eines manchen anderen.
»Nun«, sagte ich, »vielleicht entsprechen sie gerade damit letztlich doch Seinem Sinn .«
»Wie könnten sie, wenn sie doch alles zerstören, was Er ihnen gegeben hat - ihr Leben selbst mit eingeschlossen?« fuhr mein Begleiter auf.
»Könnte es nicht eine Prüfung sein, die Er ihnen auferlegt hat?« versuchte ich ihn auf meine Lesart zu bringen.
»Welcher Art sollte eine solche Prüfung sein?« entgegnete er. »Glaubst du, Er möchte wissen, wie lange sie brauchen, um sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen? Wieviel Zeit vergeht, bis der letzte Mensch den vorletzten getötet hat?«
Ich nickte, still lächelnd.
»Ganz recht, mein Freund. Und wenn dies geschehen ist, hat die Menschheit ihrem Schöpfer bewiesen, daß sie des Lebens nicht wert war.«
»Ist es nicht an uns, ein solches Ende zu verhindern?«
»Darüber habe ich so manches Mal nachgedacht«, erwiderte ich nach einer Weile, in der ich mir geeignete Worte zurechtgelegt hatte.
»Und zu welchem Schluß bist du gelangt?« drängte er mich.
»Ich glaube nicht, daß es unsere Aufgabe ist, das Ende der Menschheit abzuwenden, wenn sie selbst mit aller Macht darauf zustrebt. Wir sollen Sein Werk behüten, Seine Schöpfung vor Schaden bewahren. Der Mensch indes ist nur ein geringer Teil dieser Schöpfung, auch wenn er sich selbst nach eigenem Bekunden für ihre Krönung halten mag. Würde also alles menschliche Leben auf Erden verlöschen, so gäbe es für uns doch noch genug, auf das wir zu achten hätten. Und wer weiß - vielleicht würden Andere, Klügere nach diesen Menschen kommen, die sich der Ehre bewußt wären, die es bedeutet, eine Welt zum Geschenk zu bekommen.«
»So meinst du also, wir sollten keinen Krieg verhindern, um .«
Ich hob einhaltend die Hand.
»Das habe ich nicht gesagt«, betonte ich. »Ich glaube nur nicht, daß wir hingehen sollten, um solcherlei
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