Inkarnationen
Klosters betreten, der zu seinen größten Geheimnissen zählte.
Das Arsenal!
Für gewöhnlich war es gut bewacht. Jetzt indes traf Enya auf keinen Wächter. Und die anderweitigen Sicherungsvorkehrungen wa-ren ihr als ehemaliger Illuminatin vertraut genug, um sie umgehen zu können.
Das Arsenal mochte nicht unbedingt die größte Waffenkammer der Welt sein. Aber es war gewiß jene, in der die gefährlichsten Waffen lagerten, die es je gegeben hatte.
Von vielen wußte die Welt draußen sogar. Allein an ihre tatsächliche Existenz wollte niemand glauben. Die Menschen hielten sie für erfundene Teile jener Legenden, in denen sie eine Rolle spielten; für die Fiktion phantasiebegabter Erzähler, deren Geschichten die Zeit überdauert hatten.
Die meisten jener phantastischen Dinge gab es wirklich. Und hier waren sie zusammengetragen worden, auf daß niemand anderer sie fand und mißbrauchte.
Enya hatte nun die freie Auswahl.
Ungestört traf sie ihre Wahl.
Und sie nahm sich eine Waffe, deren Macht groß genug sein mußte, um selbst Salvat zu vernichten. Denn schließlich war damit einst sogar eine Inkarnation des Leibhaftigen erschlagen worden.
Als er in der Gestalt eines Drachens die Welt heimgesucht hatte .
*
Enya war nicht allein auf dem Weg zum dunklen Herzen des Monte Cargano. Von überall her strömten die Männer und Frauen des Ordens, um Salvats Ruf in die Innere Halle zu folgen.
Zweimal entging sie der Entdeckung noch in den oberirdischen Klosteranlagen um Haaresbreite, weil sie sich im letzten Moment in eine Nische drücken konnte.
Beim dritten Mal aber .
»Wofür brauchst du den Drachentöter ...?«
Enya blieb wie vom Donner gerührt stehen. Hinter ihr kamen Schritte näher. Ein junger Mann, den sie vom Sehen kannte, mit dem sie aber bislang kaum mehr als drei Worte gewechselt hatte.
Sein Name war Aurel. Sie drehte sich zu ihm um und log, ohne das geringste Schwanken in ihrer Stimme: »Salvat hat mich gebeten, es ihm zu bringen.«
»Das verstehe ich nicht.« Aurels Augen ließen nicht ab von ihrem Gesicht. Das Schwert selbst beachtete er, nachdem er es erkannt hatte, überhaupt nicht mehr.
Dafür bezahlte er mit dem Leben.
Enya stieß es ihm mitten durchs Herz - so schnell und so treffsicher, daß es keiner besonderen Klinge wie dieser bedurft hätte, Aurels Tod herbeizuführen.
Mit einem kurzen, sofort wieder verebbenden Röcheln stürzte der Illuminat zu Boden. Das Schwert in Enyas Händen beschrieb den Weg, den der Tote nahm, mit, so daß die Klinge wie von selbst aus dem Leichnam herausrutschte.
Enya fragte sich sekundenlang, warum nicht ein einziger Tropfen von Aurels Blut an dem Stahl glänzte, was damit geschehen war ... Da hörte sie schon die nächsten Schritte - und handelte.
Unweit lag eine Tür. Dorthin schleifte Enya den Toten samt dem Schwert. Es war nicht wirklich Glück, daß die Tür unverschlossen war - immerhin gab es kaum eine verriegelte Tür innerhalb des Klosters.
So schnell sie konnte, tauchte Enya mit ihrer Last in den dahinter-liegenden Raum und drückte die Tür so geräuschlos wie möglich hinter sich wieder zu.
Erst danach wurde ihr klar, daß der Raum nicht so verlassen war, wie sie es sich gewünscht hätte .
* Lilith erwachte.
Sie konnte es glauben oder nicht, daß sie diese »Lilith« war, aber gerade hatte sie geträumt, es wäre wahr, was sie aus Salvats Mund erfahren hatte, wenn es auch noch nicht die ganze Wahrheit sein konnte, und nun ...
... schlug sie die Augen auf und erblickte die Fremde, die mit raubtierhaften Sprüngen von der Tür her auf sie zu jagte. An ihrem heranhuschenden Schemen vorbei sah Lilith in dem trüben Licht der Lampe, in dem sie eingenickt war, einen leblosen Mann in Türnähe liegen, gegen ihn ein Schwert gelehnt .
Als draußen auf dem Korridor Schritte aufklangen, holte die Frau ohne Erinnerung zu einem Hilfeschrei aus.
Aber zu spät. Sie hatte bereits zu lange gezögert.
Die Schönheit auf den Zügen der Unbekannten starb endgültig, während sie sich vom Boden abstieß und auf ihr Opfer warf.
Lilith war nicht einmal mehr imstande, zur Seite zu rollen.
Grell stachen Zähne aus einem grimassenhaft verzerrten Mund. Das ganze Gebiß der unheimlichen Angreiferin wirkte in der einen schrecklichen Sekunde, die der Sprung dauerte, wie eine straff gespannte Falle, die - falls sie zuschnappte - nichts mehr von Liliths Kehle übriglassen würde.
Und dann schnappte sie zu, noch während Lilith unter der Wucht, mit der der Tod
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