Inkasso Mosel
Nebentisch.
Gabi stand auf, nickte den Frauen zum Abschied zu und nahm einen tiefen Zug an ihrer Zigarette. Sie zählte langsam bis zehn. Dabei stellte sie sich vor, wie sie mit drei großen Schritten den Rufer am Nebentisch erreichte, sich zu ihm hinunterbeugte, ihm dabei den Rauch ins Gesicht blies und blitzschnell seine Krawatte packte …
Gabi kehrte in die Realität zurück und ließ die Zigarette zischend in ihre Kaffeetasse fallen. Auf dem Weg zum Wagen lächelte sie zufrieden: »Geht doch!«
*
Bei der Arbeit gab es nur eine Unterbrechung, als sich Walde eine Pizza kommen ließ, die erstaunlich knusprig schmeckte, im Gegensatz zu den vielen labberigen, die er bisher aus den vom Dampf feucht gewordenen Kartons gegessen hatte.
Drei Dielenwände waren gänzlich von Tapete befreit, mit der vierten und schmälsten, in der sich obendrein noch zwei Türen befanden, war er schon ein gutes Stück voran gekommen, als eine Beethovensinfonie gleich zweimal hintereinander erklang.
»Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 5, C-Moll, opus 67«, erläuterte Jo beim Hereinkommen. »Ich hab’s, glaube ich, raus. Wenn du nach dem ersten Klingeln etwa drei Sekunden wartest und dann noch mal drückst.« Jos Ausführungen wurden von Wiener Blut und direkt daran anschließend einer Fuge von Bach begleitet.
»Oh, Papa, lass’ doch!«, Philipp schob sich an seinem Vater vorbei, eine Holzkiste vor dem Bauch gestemmt, in der statt der Weinflaschen, die sich ehemals darin befanden, eine ganze Batterie Farbtuben schaukelte. Er steuerte damit aufs Kinderzimmer zu und wartete, bis sein Vater ihm die Tür aufhielt.
»Darf ich fragen, was ihr vorhabt?«
»Das darfst du.« Jo legte Walde eine seiner großen Pranken auf die Schulter. »Aber erwarte bitte keine Antwort, Philipp hat eine Überraschung.«
»Ich kann mir denken, um was für eine Überraschung es sich handelt.« Walde sah zu, wie Philipp einen Stapel Zeitungen, Wischlappen und eine Leiter ins Kinderzimmer trug und sich dann Kopfhörer aufsetzte, den Player an seinem Gürtel einschaltete und die Tür schloss.
»Ich möchte meine Tochter nicht schon im zarten Babyalter mit Drachen und Aliens konfrontieren.« Walde dachte an die düstere Wandbemalung in Philipps Zimmer.
»Mach’ dir keine Sorgen, notfalls können wir es übermalen«, versuchte ihn Jo zu beruhigen.
»Ich bin froh, dass das Zimmer fertig ist, morgen sollen die neuen Möbel …«
Das Telefon klingelte. Rob berichtete, dass auf dem Handy, das Walde bei ihm abgegeben hatte, keine brauchbaren Fingerabdrücke zu finden waren. Bei der Überprüfung der Nummern hatte sich herausgestellt, dass das Handy am Vortag gestohlen und wahrscheinlich auf der Tauschbörse im Palastgarten oder in einer Spielhölle gelandet war, wo vornehmlich Handys, Walkmans und DVDs gegen Cash oder Drogen getauscht wurden.
»Ich hab’ mir ein paar von den Jungs im Telefonbuch herausgepickt und werde sie zur Zeugenaussage vorladen. Vielleicht ist sogar der Sprayer dabei, den Sie verfolgt haben.«
»Der mutmaßliche Sprayer«, korrigierte Walde.
»Wenn wir einen aus der Clique kriegen, dann ist über kurz oder lang auch der Rest dran. Falls die selbst dicht halten, werden schon ihre Eltern dafür sorgen, dass sie auffliegen. Spätestens wenn Papa und Mama mit ein paar tausend Euro Schadensersatz konfrontiert werden, erzählen die uns alles, was wir wissen wollen«, sagte Rob. »Auch wenn sie vielleicht noch so cool tun, sind Sprayer keine Profis. Irgendwie glauben sie, nie erwischt zu werden, und wenn es dann doch passiert, ist der Katzenjammer groß.«
Zwei Stunden später kam Philipp aus dem Kinderzimmer, ließ die Tür offen und verschwand im Bad. Jo linste um die Ecke und verkündete: »Ich glaube, er ist fertig.«
Walde folgte ihm, auf alles gefasst, ins Zimmer. Die Wände waren unverändert. Er schaute hoch und konnte einen Ausruf nicht unterdrücken.
An der Decke leuchteten Mond und Sterne vor dunkelblauem Nachthimmel, der von einigen zartrosa gefärbten Schäfchenwolken im Schein der untergegangenen Sonne überzogen war. Walde brauchte eine Zeit, bis er die kleinen Figuren entdeckte, die sich hinter den Wölkchen versteckten oder am Übergang zur Wand herauslugten. Da waren Putten, Eulen und auch zwei Hände, die sich zwischen Wolken mit den Zeigefingern berührten.
»Super, wirklich Klasse! Michelangelo lässt grüßen«, lobte Walde den aus dem Bad zurückkehrenden Philipp. »Wie hast du das in so kurzer Zeit
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