Inmitten der Unendlichkeit
egal wie sehr er sich auch anstrengte. Schließlich hatte er aufgehört, es zu versuchen.
Die Umstände von Jon Kories Geburt blieben schleierhaft. Sein Vater war wenig mitteilsam, was die Einzelheiten anging. Und obwohl Jon ein tiefes Gefühl von Verlust und Entfremdung verspürte – als gäbe es einen bestimmten Aspekt des Menschseins, mit dem er niemals in Berührung gekommen war –, hatte er am Ende akzeptiert, daß dies der Weg war, den sein Leben nehmen würde.
In seiner Jugend hatte er gelegentlich bemerkt, wie sein Vater ihn heimlich beobachtete, als sei er ein fremdes Wesen von einem anderen Stern. Er hatte sich gefragt, ob andere Leute auch so empfanden. Er hatte nie viele Freunde gehabt. Er hatte nie verstanden warum und immer angenommen, daß irgend etwas mit ihm nicht stimmte, irgend etwas, das alle wußten, nur er selbst nicht. Und niemand durfte es ihm verraten. Vielleicht war das auch der Grund gewesen, warum Vizeadmiralin O’Hara ihn so kühl behandelt hatte.
In der Einsamkeit seiner Jugendjahre hatte er sich oft gewünscht, einfach so zu sein wie alle anderen auch. Das Leben wäre um so vieles einfacher gewesen. Aber dann, eines Tages, als er ohne besonderes Ziel durch die Datenbanken stöberte, stieß er auf ein Zitat der Nobelpreisträgerin Rosalyn Yalow. Kurze Zeit nach der Preisverleihung war sie von einem Reporter gefragt worden, wie es denn sei, wenn man so klug war. Und Rosalyn hatte erwidert, als wäre es keine große Sache: »Man fühlt sich sehr einsam.«
Der junge Jon Korie hatte die tiefe Wahrheit hinter dieser Bemerkung augenblicklich erkannt – der Moment war ihm wie eine Erleuchtung im Gedächtnis hängengeblieben. Er hatte dagesessen und auf den Bildschirm gestarrt und gespürt, wie ein kalter Schauer an seiner Wirbelsäule emporkroch. Es war, als hätte sie eine Nachricht durch die Jahrhunderte gesandt, die ganz gezielt auf seine Verschiedenheit von den anderen gerichtet war. Sie hatte über all jene gesprochen, die aus dem Rest der Spezies herausragten.
Später, als er den Faden aufgenommen und zu verfolgen begonnen hatte, war er auf andere Zitate gestoßen, die ihn inspiriert hatten. Daniel Jeffrey Foreman, der Erfinder des Modustrainings, hatte einmal gesagt: »Wenn man in einem Raum voller Liliputaner auf einem Stuhl steht, dann ist man zuerst ein Gott. Dann wird man zu einem Ziel. Und schließlich, wenn man überhaupt lange genug überlebt, ist man nur noch ein Meilenstein.« Zuerst hatte Jon in dieser Bemerkung nicht mehr als zynische Verachtung für den Rest der Menschheit erblickt und sie aus seinem Verstand gestrichen. Zumindest hatte er es versucht – aber das Bild von dem Mann auf dem Stuhl war beharrlich in seinem Kopf geblieben, und Korie hatte nach und nach begriffen, daß Foreman genau das gleiche gesagt hatte wie Yalow – daß jede außergewöhnliche Form von Begabung eine sehr einsame Angelegenheit war.
Es hatte nichts mit Genialität zu tun. Eher mit Bewußtheit. Soviel war Korie zumindest klar. Es hatte etwas mit der ›Technologie des Bewußtseins‹ zu tun, einem Begriff, auf den er immer wieder gestoßen war. Was die Menschen voneinander unterschied, das war nicht ihr Intellekt, sondern ihre geistige Beweglichkeit, ihre Fähigkeit, mit der Umgebung zu interagieren, in der sie lebten.
Nach einem der Aufsätze, über die Korie gestolpert war, irrten die meisten Menschen ohne Bewußtheit durch ihr Leben. Die Untereinheiten ihrer Existenz bildeten in der Summe die Person, und das war alles.
Nichts, das sich dahinter noch verborgen hätte. Und auch diesen bedrückenden Gedanken konnte der junge Korie nicht wieder vergessen. Er verstand die Bedeutung nicht ganz, aber die Idee, daß hinter dem Leben etwas sein mochte, das er vielleicht übersehen hatte, bereitete ihm Kopfzerbrechen.
Kories Adoptivvater zeigte zwar keine demonstrative Zuneigung, aber er verhielt sich dennoch alles andere als dumm oder verantwortungslos gegenüber dem Jungen. Er prüfte regelmäßig die Streifzüge des Knaben durch die Informationstanks. Es dauerte viele Jahre, bis Jon entdeckte, daß nicht alle seine zufälligen Entdeckungen vollkommen zufällig gewesen waren. Viele der Themen, die auf dem Schirm aufgetaucht waren, schienen direkt auf die unmittelbare Erfahrungswelt des Jungen zu zielen.
Und allmählich wurde ihm etwas bewußt: Es handelte sich um ein sich ständig wiederholendes Strickmuster, das sich auf etwas namens zyne bezog. Zyne war eine Weiterentwicklung des
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