Inmitten der Unendlichkeit
Ereignishorizont des winzigen Schwarzen Lochs war viel zu klein, um selbst ein einziges Atom am Stück zu verschlingen. Es würde zuerst in seine Partikel zerlegt werden. Einige Theoretiker waren der Meinung, daß selbst die subatomaren Partikel erst noch weiter zerlegt werden mußten, bevor sie verschlungen werden konnten. Ein Mensch konnte seine Hand durch den von der Singularität eingenommenen Raum bewegen, ohne mehr als einen harmlosen Kratzer abzubekommen. Er würde dabei mehr Haut durch ganz normales Abschuppen verlieren als durch den Einfluß der Singularität.
An Bord der meisten Schiffe schloß man die Singularität in einem Vakuum ein und fütterte sie dort mit Hilfe eines stetigen Plasmastroms. Die winzigen Schwarzen Löcher mußten regelmäßig aufgefrischt werden. Sie tendierten dazu, sich aufzulösen, indem sie mehr Energie abgaben, als sie aufnahmen. Die meisten Ingenieure zogen es vor, die Singularität durch stetige Plasmaströme zu füttern. Andere fühlten sich sicher genug, um das kleine Monster die gleiche Luft atmen zu lassen wie die Mannschaft. Das bedeutete eine Maschine weniger, die gewartet werden mußte. Ein Schwarzes Loch war der stabilste Festkörper des Universums. Es hatte keinerlei bewegliche Teile, die verschleißen konnten. Warum also sich den Kopf zerbrechen und eine Vakuumplasmakammer bauen, wenn das kleine Biest sich ganz gut alleine ernähren konnte?
Als nächstes kletterte Korie hinauf zu den Offiziersquartieren. Er warf seinen Seesack in die Kabine des Ersten Offiziers, dann ging er weiter zur Kapitänskabine, um nachzusehen, ob Kapitän Lowell bereits an Bord gekommen war. Aber Lowell war anscheinend noch nicht da. Korie stellte sich vor, wie es sein würde, wenn die Kapitänskabine erst ihm gehören würde – aber der Gedanke war irgendwie einschüchternd, ohne daß er sagen konnte warum. Er würde sich später deswegen den Kopf zerbrechen. Er wünschte sich sein eigenes Kommando mehr als alles andere, aber auf der anderen Seite hatte er Angst vor der Verantwortung. Aber vielleicht bedeutete das auch nur, daß er normal war.
Anschließend wanderte Korie zur Kommandobrücke. Alles war ruhig, aber die Instrumente waren eingeschaltet. Der große Frontschirm zeigte bereits die Sterne, die vor der LS-1187 im All blinkten. Korie blieb einen Augenblick stehen und stellte sich vor, das Schiff wäre bereits unterwegs im Meer der sternenübersäten Finsternis, und er wäre der einzige Passagier an Bord. Eine faszinierende und schreckliche Vorstellung zugleich.
Es gab nur eine Reise zu den Sternen, die ein Mensch alleine antrat: seine letzte.
Er stieg die Stufen zum Kommandodeck hinab und betrachtete liebevoll die einzelnen Stationen. Er fuhr mit den Händen über die glatte Oberfläche des holographischen Astrogationsdisplays. Die autonomen Schiffsfunktionen hatten ihre Abnahme bereits hinter sich, und die Bildschirmpaneele piepten und klickten leise vor sich hin. Korie wanderte an den Schirmen vorbei und diktierte eine Bemerkung in sein Mikro, die Stabilisierungskennummern zu überprüfen, nachdem das letzte der direkten Kommandosysteme freigegeben worden war.
Von der Kommandozentrale aus stieg er hinunter in den Betriebsraum unter der Brücke. Das winzige Abteil lag genauso still wie die Brücke selbst. Korie blickte sich nachdenklich um, dann stieg er die letzten Stufen in den Kiel hinab. Dort sah er sich einem furchtbaren Anblick gegenüber. Eines der makellosen weißen Wandpaneele war mit einem Fleck hellroter Farbe – nein, es war Blut! – beschmiert. Irgend jemand hatte mit Blut die Worte »Ich verfluche dieses Schiff und alle, die an Bord ihren Dienst verrichten« an die Wand geschrieben. Auf dem Boden hatte man mit Kreide die Umrisse eines Menschen eingezeichnet. Der Bereich war mit gelben Bändern abgesperrt, und Korie machte einen vorsichtigen Bogen um die Stelle. Besorgt und nachdenklich kletterte er zum Rechenzentrum hinauf, einer winzigen Kammer unmittelbar hinter der Brücke, wo die Intelligenzmaschine des Schiffs ihren Platz hatte. Er kletterte in das Abteil und blickte sich um. Zu seiner Überraschung stellte er fest, daß die Schiffsintelligenz bereits aktiv und zwei Tage vor dem geplanten Zeitraum freigegeben worden war. »Guten Morgen, Mister Korie«, sagte Harlie. Korie warf einen Blick auf seine Uhr. 02:00. »Guten Morgen, Harlie. Woher wußtest du, daß ich es bin?«
»Ich habe Ihr Gepäck abgetastet, als Sie an Bord kamen. Um die Wahrheit zu sagen,
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