Innenhafen
in deinem Wagen? Und wie kamen deine Zähne und die Brücke an den Unfallort? Also, deine Zahnprothese?«
Kurt fletschte den Mund zu einer breiten Grimasse und hob mit dem Zeigefinger die Oberlippe in die Höhe. »Da«, nuschelte er und wies auf eine dunkle Lücke neben den oberen Schneidezähnen. Ihm fehlten mindestens fünf Zähne. »Der Sauhund hat sie mir ausgeschlagen. Faust rein und paff, weg war ich. Ein intakter Zahn musste dran glauben. Und meine Brücke auch, mitsamt einem der Stiftzähne, an denen sie befestigt war. Der andere steht noch. Deshalb habe ich Bettina dann doch angerufen. Hab’s echt nicht mehr ausgehalten. Wisst ihr eigentlich, wie weh so ein abgeschliffener Zahn tun kann?«
»Ich bin Zahntechnikerin«, erklärte Bettina leise.
»Ihr habt mich ganz schön an der Nase herumgeführt«, sagte ich böse.
Sie nickte betreten, schniefte einmal kurz und wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab. Dann sah sie mich an. »Ich bin aus allen Wolken gefallen, als er sich plötzlich bei mir gemeldet hat. Ich dachte erst, dass sich da irgendein Idiot einen üblen Scherz mit mir erlaubt. Aber es war eindeutig seine Stimme, und dann hat er mir ein paar Details aus meiner Kindheit erzählt, die eigentlich kein anderer wissen konnte. Da habe ich langsam begriffen, dass er es wirklich war.«
»Und?« Ich sah sie fragend an.
»Sie hat mir die Bleibe hier besorgt«, sagte Kurt stolz. »Meine Bettina! Im Hotel hatte ich Angst, dass ich irgendwann auffliegen würde. Von hier aus wollte ich alles in Ruhe verfolgen und warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Und Bettina konnte sich in Ruhe um die medizinische Versorgung kümmern.«
»Ich habe einen Abdruck gemacht, die Stiftzähne versorgt und gestern in meinem Labor eine neue Brücke angefertigt. Das konnte ich doch erst am Wochenende, wenn sonst niemand da ist. So konnte das auf keinen Fall bleiben.«
»Wem gehört denn diese Bruchbude hier?«, fragte ich. »Könnte eigentlich ein tolles Haus sein, wenn man es mal anständig renoviert.«
»Willst du es kaufen?« Bettina lächelte. »Du kannst es haben. Die Großeltern meines Freundes haben hier gelebt.« Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die Locken und strich sie nach hinten. »Die Großmutter ist schon länger tot. Weihnachten ist dann auch der Großvater gestorben, und Jonas hat das Haus geerbt. Und weil er jetzt ein Jahr lang im Nordmeer auf einem Forschungsschiff herumschippert, habe ich den Schlüssel. Wegen möglicher Interessenten. Ich wollte eine Anzeige schalten. Das habe ich dann aber vergessen, als Paps tot war.«
»Und Irina?«, fragte ich. »Wusste sie Bescheid?«
»Sie ist oben und schläft. Ich habe ihr ein starkes Schmerzmittel mitgebracht wegen dem Schnitt im Gesicht. Nein. Sie hat erst durch mich erfahren, dass Paps lebt. Ich habe sie vorgestern hierher gebracht.«
»Es war doch auch gar nicht geplant«, warf Kurt ein. »Nur eine Eingebung, eine spontane Entscheidung. Da hätte ich vorher doch niemanden einweihen können.«
»Wer hat Irina den Schnitt im Gesicht zugefügt?«
Kurt sah plötzlich finster drein. »Ich dachte nicht, dass sie so weit gehen würden. Sie hatten mir diese Schläger auf den Hals gehetzt. Deswegen war ich erst mal untergetaucht.«
»Im Märchenwald, in Onkel Gerhards Hütte.« Meine Stimme triefte vor Ironie.
»Genau. Bettina hat mir erzählt, dass ihr dort gewesen seid. Also du und Volker.«
»Ja, wir waren in der Hütte«, bestätigte ich. Ich spürte Volkers Blick auf mir ruhen und fühlte, wie die Hitze mir in den Kopf schoss.
»Eigentlich hatte ich nicht erwartet, dass sie von Irina wissen«, fuhr Kurt fort. »Aber dann haben sie mir eine SMS geschickt mit einem Foto von ihr. ›Tauschen?‹ Mehr stand nicht drin. Sie war gefesselt und geknebelt.« Kurts Hände ballten sich zu Fäusten. »Die Dreckskerle! Ich hatte wirklich nicht gedacht, dass sie so weit gehen würden. Ich bin natürlich sofort zurück nach Essen gefahren. Da haben sie mich erwartet. Vor Irinas Wohnung.«
»Du hast sie erpresst.«
»Was heißt denn hier Erpressung?«, beschwerte sich Kurt. »Wer hat denn unsaubere Geschäfte gemacht, ich oder der Sauhaufen da?«
Ich seufzte. Auf eine solche Debatte wollte ich mich gar nicht erst einlassen. »Du hast sie erpresst«, wiederholte ich also unnachgiebig. »Und dann?«
»Dann wollten sie die ganze Kohle wieder zurückhaben, die ich ihnen abgeknöpft hatte. Ein paar Scheine habe ich ihnen gegeben, die hatte ich eingesteckt.
Weitere Kostenlose Bücher