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Innere Werte

Innere Werte

Titel: Innere Werte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Hamann
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einfach.«
    »Quatsch!«, widersprach Paul. »Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!«
    »Oh, Mann. Aus dir spricht viel jugendlicher Enthusiasmus und wenig Lebenserfahrung. Aber ich will das jetzt wirklich nicht mit dir diskutieren.« Er ging in Richtung Ausgang. »Komm, du Grünschnabel.«
    »He!«, beschwerte Paul sich. »Ich hab davon vielleicht mehr Ahnung als du.«
    »Wahrscheinlich!« Michael zog das Handy aus der Tasche und tippte Martins Nummer, um ihn zu informieren, dass sie jetzt ins Casino fahren würden.
     
    Martin beendete das Gespräch und wandte sich wieder dem Arzt zu.
    »Sie müssen sich das so vorstellen«, fuhr Dr. Hofnagel fort, »tausendsiebenhundert Liter Blut pumpt das Herz täglich in die Nieren. Dort werden die giftigen Stoffe normalerweise herausgefiltert. Funktionieren die Nieren nicht, wird der Körper vergiftet, wenn die Menschen nicht an die Dialyse angeschlossen werden. Die Dialyse ist im Grunde nichts anderes als eine künstliche Niere. Das heißt, dass das Blut der Patienten außerhalb des Körpers gereinigt wird. Allerdings kann die Dialyse nur zehn Prozent der Entgiftungsfunktion leisten. Dadurch verbleiben natürlich Giftstoffe im Körper, die auf Dauer Schäden hervorrufen können.«
    »Wie oft kommen die Patienten hierher?«
    »Viele müssen lebenslang an die Dialyse und das bedeutet dreimal pro Woche für jeweils vier bis acht Stunden. Eine erhebliche Einschränkung für die Patienten. Räumlich sowie zeitlich. Die Lebensqualität ist schon deutlich beeinträchtigt.« Er steckte die Hände in die Taschen seines Kittels und lehnte sich auf seinem Sessel zurück. »Aber das Ganze ist schon eine geniale Erfindung. Und wenn die Patienten mit dem nephrologischen Zentrum, das sie betreut, optimal kooperieren, ist ihre Lebenserwartung erfreulicherweise kaum geringer als die von Menschen mit gesunden Nieren.«
    »Einem normalen Alltag oder einer Arbeit kann man da sicher nicht nachgehen«, überlegte Martin.
    »Das ist richtig.«
    »Wie viele Leute betrifft das in etwa?«
    »In Deutschland sind es siebenundsechzigtausend.«
    »Und wie viele von ihnen bekommen eine neue Niere?«
    »Jährlich nur zirka zweitausendsiebenhundert. Die anderen warten und hoffen. Und diese Hoffnung ist natürlich zwiespältig, denn nur ein Unglück, sprich der Tod eines Nierenspenders, kann helfen. Glauben Sie mir, viele der Betroffenen wünschen sich mehr Verkehrsunfälle, hoffen auf viele waghalsige Motorradfahrer im Sommer.« Der Nephrologe, ein kleiner, dicker Mann mit vollem Haar, kratzte sich am Kopf.
    »Verstehe!«, sagte Martin mit einer Prise Sarkasmus in der Stimme. »Einen zerlegten Motorradfahrer kann man transplantationstechnisch sicher noch gut gebrauchen.«
    »So schrecklich das klingt, aber unser mörderisches Verkehrswesen liefert uns zum Teil das Material. Heutzutage kommen die Organe aber auch vielfach von Menschen, die an Schlaganfällen oder Hirnblutungen sterben. Allerdings«, der Arzt krauste die Stirn, »hat von allen in den letzten Jahrzehnten in Deutschland gestorbenen Menschen nur jeder Siebenhundertste Organe gespendet. Das ist verdammt wenig.«
    »Wie viele Ihrer Patienten werden transplantiert?«
    »Bei uns sind es ungefähr zwanzig im Jahr.« Dr. Hofnagel erhob sich. »Kommen Sie, Herr Sandor. Ich führ Sie ein bisschen rum.«
    Martin folgte dem Arzt hinaus in den Flur. Während sie nebeneinanderher liefen, konnte Martin durch offen stehende Türen die Patienten in den Zimmern liegen sehen. Die meisten sahen fern oder schliefen, während die Maschine neben ihrem Bett ihr Blut wusch. Auf einem Bett saß ein kleiner Junge, der Nintendo spielte. Blutgefüllte Schläuche liefen seitlich in das Dialysegerät.
    Martin blieb stehen und betrachtete den Kleinen. Er schien recht zufrieden. Und doch tat der Junge ihm schrecklich leid. Was für eine Zukunft hatte er vor sich? Wie schrecklich musste es für die Eltern sein, ein krankes Kind zu haben, um das sie sich ständig Sorgen machen mussten. Vielleicht war es doch ganz gut, keine eigenen Kinder zu haben.
    »Das ist Julius«, erklärte der Nephrologe. »Das einzige Kind unter meinen Patienten. Bei Kindern tritt Nierenversagen wesentlich seltener auf als bei Erwachsenen. Deutschlandweit sind zweihundertfünfzig Kinder betroffen, von denen hundertzehn jährlich transplantiert werden. Das ist äußerst wichtig, denn eine jahrelange Dialyse verzögert das Wachstum.«
    Eine Frau um die sechzig kam ihnen entgegen und grüßte

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