Innere Werte
Schreibtisch und machte ein vorwurfsvolles Gesicht.
»Ich gebe mir Mühe.«
»Nein!«, sagte Paul. »Ich bleibe. Vielleicht können wir dann alle morgen früher Schluss machen.«
»Guter Mann!«, lobte Martin, während Michael hereinkam.
»Ich weiß doch, dass ich ein guter Mann bin, aber danke für die Blumen.« Er grinste.
»War dein Gespräch mit Frau Galanis beruflich oder privat?«, fragte Martin direkt.
»Privat. Warum?«
»Weil wir hier bei der Mordkommission sind«, antwortete Paul vorwitzig. »Und nicht bei der Partnervermittlung.«
Michael lachte. »Na, das eine schließt das andere ja nicht unbedingt aus.«
Gelächter bei den Kollegen, gutmütiges Kopfschütteln bei Martin, der nicht weiter auf das Thema einging und stattdessen fragte: »Gibt’s auch beruflich was Neues?«
»Also«, begann Michael und setzte sich auf die Kante des Schreibtischs. »Ich habe mit Gleisingers Ex gesprochen. Sie sagt, er ist ein Zocker, wie er im Buche steht. Deswegen ist auch die Ehe kaputtgegangen. Gleisinger hat trotz hoher Verluste immer weiter gespielt. Und das gab allmählich Streit. Er hat angefangen zu lügen und auf der Arbeit geklaut, als das Geld knapp wurde. Geendet hat das alles mit dem totalen Verlust von Familie, Haus und Arbeit.«
»Voll krass!« Paul schien sichtlich betroffen. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie’s so weit kommen kann.«
»Das kann ganz schnell gehen«, erklärte Dieter. »Zuerst ist das Spielen eine nette Freizeitbeschäftigung. Und immer, wenn man gewinnt, entsteht ein Glücksgefühl, das man wieder erleben möchte. Aber man verliert natürlich auch ab und zu. In der Regel mehr als man gewinnt. Dann wird das Geld knapp, man leiht sich was und spielt mit immer höheren Einsätzen, um die gewünschte Erregung zu spüren. Ich glaube, krankhafte Spieler haben auch kein Verlusterlebnis mehr, weil sie immer denken, dass es beim nächsten Mal ganz bestimmt wieder klappt. Das Spielen entwickelt eine Eigendynamik, so dass der Spieler die Kontrolle verliert.«
»Und das nennt man Abhängigkeit!«, brachte Martin es auf den Punkt.
»Richtig! Und ganz schnell ist man dann in die soziale und psychologische Isolation gerutscht.«
»Spielt er immer noch?«, fragte Martin in Michaels Richtung.
»Seine Ex war überzeugt davon. Psychologische Beratungsgespräche hatten wohl nie gefruchtet. Auch in der Ehe hat er immer wieder versprochen, aufzuhören.«
»Typisch Spieler!«, murmelte Dieter.
»Aber die Versprechungen hat er genauso schnell wieder gebrochen, wie er sie gemacht hat. Am Ende war das Spielen eine Ganztagsbeschäftigung.«
»Wenn er tatsächlich noch spielt, stellt sich die Frage: Woher nimmt er das Geld? Mit Hartz IV kommt man nicht weit.«
»Frau Gleisinger war der Meinung, dass er illegale Dinger dreht, um das nötige Geld zu beschaffen, weil es niemanden mehr gibt, der ihm Geld leiht.«
»Menschenskinder!«, rief Paul. »Er kannte doch die Schulte und der gehörte der Saab. Vielleicht hat Gleisinger den Bielmann für die Schulte gegen Geld entsorgt.«
»Ein Spieler, der zum Auftragskiller wird?« Zweifelnd blickte Michael in die Runde.
»Ein Spieler ist nicht nur ein Spieler«, sagte Dieter. »Er ist ein Süchtiger. Und die tun zur Befriedigung ihres zwanghaften Dranges so ziemlich alles, wie wir wissen.«
»Ja, vielleicht Diebstahl, Fälschung oder Betrug, aber Mord?«
»Möglicherweise war’s nur Beihilfe. Was meinst du dazu, Martin?«
Martin saß da und schwieg.
»So wie du guckst, gehen dir irgendwelche abstrusen Gedanken durch die kriminalistische Birne«, beurteilte Michael Martins Gesichtsausdruck.
»Hartz-IV-Empfänger in Geldnot. Wenn ich das höre, klingeln mir die Ohren«, sagte Martin und rieb sich den Nacken. »Nachdem, was mir Stieber erzählt hat, musste ich eben spontan an Organhandel denken.« Er berichtete seinen Kollegen jetzt von dem Gespräch mit dem Rechtsmediziner, was allgemeine Nachdenklichkeit auslöste. »Ich will unbedingt noch ins hiesige Dialysezentrum, um mir ein genaueres Bild zu machen. Das Ganze lässt mir keine Ruhe. An das Bild vom Organhandel will ich nicht glauben, aber …«
»Aber«, fuhr Dieter fort, »dein Gefühl sagt dir was anderes.«
Martin nickte.
»Stellt euch mal vor«, sagte Paul begeistert, »wir würden einer Organisation von skrupellosen, menschenverachtenden und korrupten Organjägern auf die Spur kommen. Das wär der Hammer! Das gab’s bisher noch nicht. Wir müssen alle Ärzte, die dafür infrage
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