Innere Werte
lächelnd.
»Alles gut bei Ihnen?«, fragte Dr. Hofnagel lächelnd.
»Alles bestens«, kam die Antwort. »Bis übermorgen.«
»Das war Marion Klose, eine meiner Lieblingspatientinnen«, sagte der Arzt leise und mit leichtem Stolz in der Stimme. »Sie ist so herrlich problemlos und geduldig. Sie hadert nicht mit ihrem Schicksal. Und das ist auch der Grund, warum es ihr trotz der Krankheit so gut geht.«
»Eine Vorzeigepatientin«, folgerte Martin.
»Genau! Ich wünschte, ich hätte mehr von ihrer Sorte. Leider gibt es eine Menge, die nur am Jammern sind und sich selbst bemitleiden. Das sind dann auch die, die verzweifeln, wenn der Bettnachbar, der erst drei Jahre wartet, eine Niere bekommt, obwohl man selbst schon viel länger an der Dialyse ist. Viele entwickeln sich durch die Krankheit zu kleinen Monstern, die nur an sich denken. Bei der Verteilung versucht man zwar eine gewisse Gerechtigkeit walten zu lassen, aber das ist in Anbetracht der Notwendigkeit, dass bestimmte Gewebeparameter übereinstimmen müssen, schwierig.«
»Wie funktioniert das mit der Verteilung der Nieren?«
»In der Regel melden Krankenhäuser hirntote Patienten, die für eine Organspende infrage kommen, an Eurotransplant. Das ist ein Verbund zwischen Deutschland, Österreich und den Beneluxländern, der die Verteilung der Organe regelt. Man versucht unter Berücksichtigung des Gewebetyps und der jeweiligen Wartezeit einen optimalen Organempfänger zu finden, der dem jeweiligen Transplantationszentrum vorgeschlagen wird. Seit 2006 haben die Krankenhäuser die Pflicht, potenzielle Organspender zu melden. Dafür sollte in jeder Klinik ein Transplantationsbeauftragter benannt werden, der die eingelieferten Patienten daraufhin überprüft, ob sie auch nur im Geringsten als Organspender infrage kommen. Er verfolgt dann ihren Krankheitsverlauf und muss gegebenenfalls die Angehörigen von einer Organspende überzeugen. Aber leider melden nur etwa fünfzig Prozent aller Krankenhäuser ihre potenziellen Spender, was viel zu wenig ist. Da muss sich einiges ändern, um dieses System zu verbessern.«
Transplantationsbeauftragter. Was für ein beschissener Job, überlegte Martin. Freut er sich, wenn er einen Toten melden kann, der dann als Warenlager dient? Ob er wohl Provision für jeden Spender bekommt? Ständig auf der Suche nach Organspendern zu sein, schien dem Kommissar eine perfide Art, Geld zu verdienen.
Martin hatte bisher noch nie ernsthaft darüber nachgedacht, ob er nach seinem Tod Organspender werden wollte. Jetzt allerdings trieben ihm die Gedanken daran eine Gänsehaut über den Rücken. Er nahm sich vor, mit Karla darüber zu sprechen.
Dr. Hofnagel riss ihn aus seinen Gedanken.
»Vor einiger Zeit hatten wir eine Niere für Frau Klose. Und was macht die Gute? Sie hat sie abgelehnt.«
»Warum?«
»Weil es ihr gut geht. Sie sieht die Dialyse nicht als Handycap. Eine Transplantation dagegen birgt etliche Risiken, die sie nicht eingehen wollte. Es spielte wohl auch die Überlegung eine Rolle, dass ein Nierentransplantat im Durchschnitt etwa zehn Jahre funktioniert«, erklärte der Arzt, während er mit Martin an den Behandlungsräumen vorüberlief. »In Einzelfällen auch länger, aber das sind Ausnahmen. Außerdem muss man starke Medikamente nehmen, damit der Empfänger das neue Organ nicht abstößt. Das hat zur Folge, dass man an Bluthochdruck und einer erhöhten Infektanfälligkeit leidet.«
Das Bild von Tobias Schulte streifte seine Gedanken. Dann fragte er den Arzt: »Sind Sie für oder eher gegen Transplantation?«
»Grundsätzlich bin ich dafür, wenn es der aktuelle Gesundheitszustand des Patienten zulässt. Denn in der Regel verbessert es deren Lebensqualität. Natürlich nicht immer, aber meistens. Nur in zehn Prozent aller Fälle wird die Spenderniere abgestoßen.«
»Wie gefährlich ist so eine OP?«
»Mittlerweile ist sie reine Routine, denn Nieren sind die Organe, die bisher weltweit am häufigsten übertragen wurden.« Der Arzt legte die Hände hinter dem Rücken zusammen und blickte Martin freundlich an. »Haben Sie sonst noch Fragen?«
»Glauben Sie, dass sich diejenigen, die bei der Selektion durchfallen, eine Niere illegal kaufen könnten? Ist das hier möglich?«
»In Deutschland?« Der Arzt sah Martin entgeistert an. »Nein! Das halte ich für ausgeschlossen.« Dann schürzte er nachdenklich die Lippen. »Naja, theoretisch …« Für einen Moment starrte er schweigend auf den Boden. »Theoretisch ist
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