Innere Werte
wohl alles denkbar, aber man kann einem Hirntoten nicht einfach die Niere klauen. Da müssten ja weiß Gott wie viele Leute involviert sein. Dann das Prozedere mit Blut- und Gewebetests. Außerdem hat man bis zur Verpflanzung maximal achtundvierzig Stunden Zeit. Das würde wohl das größte Problem sein.«
»Es sei denn, man hat die Daten des Spenders schon vorher parat.«
»Aber das ginge ja nur von Leuten, von denen man annimmt, dass sie bald sterben.«
»Da bietet sich doch so ein Transplantationsbeauftragter an. Der liegt doch quasi immer auf der Lauer, wenn ich das richtig verstehe?«
»Naja, so würde ich das jetzt nicht ausdrücken, aber im Prinzip schon.« Dr. Hofnagel strich sich nachdenklich über das Kinn. »Wenn so etwas tatsächlich in Deutschland stattfindet, müsste es in einer Klinik durchgeführt werden. Zumindest die Beschaffung der Organe. Wenn man bedenkt, dass eine Nierenentnahme bis zu zwei Stunden dauert und die Implantation noch mal so lange, halte ich die Gefahr der Entdeckung für ziemlich groß. Es sei denn, die ganze Klinik spielt mit.«
»Womit ich bei der nächsten Frage bin. Könnte die ganze Transplantation nicht außerhalb einer Klinik stattfinden?«
»Wenn jemand einen privaten OP hat und einen Toten, dem er die Niere entnehmen kann, dann sicher. Aber dann ist da immer noch die Nachsorge des Patienten. Man kann ja keinen frisch Operierten auf die Straße schicken.« Er schüttelte den Kopf. »Also, ehrlich gesagt, das sind Szenarien, die ziemlich an den Haaren herbeigezogen sind.« Plötzlich blickte er den Kommissar erschrocken an. »Mein Gott, Sie sind ja von der Mordkommission. Nehmen Sie etwa an, dass jemand Menschen tötet, um an Nieren zu kommen?«
»Wir wissen es nicht. Bisher sind es nur Überlegungen.«
»Na, dann hoffe ich, dass es auch dabei bleibt.« Dr. Hofnagel legte die Stirn in Falten und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann sagte er: »Das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist, dass man einen Lebendspender hat. Dann muss man eventuell nur die Formalitäten fälschen, um alles scheinbar legal in einer Klinik ablaufen zu lassen.«
»Lebendspender«, wiederholte Martin und dachte an die von Stieber erwähnten Hartz-IV-Empfänger.
»Genau! Die stellen sowieso ein unerschöpfliches Reservoir dar. Mit Toten lässt sich der enorme Bedarf nie decken. Und man kann davon ausgehen, dass sich im Umfeld eines jeden Nierenkranken ein potentieller Spender befindet. Nieren von Lebenden werden zudem besser vertragen und man hat Zeit für die Planung.«
»Ist jemals einer Ihrer Patienten ohne Ihr Wissen transplantiert worden?«
»Nicht, dass ich wüsste. Allerdings kommen Patienten manchmal nicht wieder zur Dialyse. Der Grund dafür ist eigentlich immer ein Umzug oder der Tod. Wenn jemand heimlich transplantiert würde, wüsste ich es nicht zwangsläufig, wenn er zum Beispiel einfach behauptet, umgezogen zu sein. Natürlich gibt es Patienten, die versuchen, im Ausland an eine neue Niere zu kommen. Indien ist da sehr beliebt. Die haben eine hervorragende medizinische Technologie und massenhaft arme Leute, die ihre Organe für wenig Geld verkaufen. Eine perfekte Kombination für diese Art von Geschäft. Und irgendwelche Deutsche lassen sich dort nachweislich behandeln. Da könnte also auch einer meiner Patienten dabei sein, ohne, dass ich davon weiß. Die Ärzte, die die Nachsorge der transplantierten Leute übernehmen, unterliegen ja der Schweigepflicht, so dass auch von der Seite nichts ans Tageslicht kommt.«
»Ich würde gerne mit Ihren ehemaligen Patienten sprechen, die transplantiert wurden, und auch mit denen, die plötzlich nicht mehr kamen. Geht das?«
Dr. Hofnagel krauste nachdenklich die Stirn. »Eigentlich gerne, aber Sie wissen, dass ich der Schweigepflicht unterliege. Und ich bin nicht sicher, ob Ihre Recherche mich davon entbindet.«
»Meine Recherchen sind Ermittlungen in einem Mordfall. Deshalb müssen Sie mir sogar Auskunft geben. Im Zweifelsfall über einen Durchsuchungsbeschluss.«
»Gott bewahre!«, rief der Arzt. »Darauf können wir sicher verzichten.«
»Das wäre wahrscheinlich in unser beider Interesse.«
»Also, ich lasse meine Sekretärin nach den entsprechenden Patienten suchen und vermerke jeweils den Grund für den Behandlungsabbruch, sofern er mir bekannt ist.«
»Das ist nett. Schicken Sie mir die Daten bitte per Mail.« Martin zog eine Visitenkarte aus der Jacke und reichte sie dem Arzt.
»Wird gemacht. Ich denke, das
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