Innere Werte
gebeten.«
»Dann kannten Sie sie näher?«
»Nein. Wie schon neulich gesagt, habe ich mit ihr nur im Zusammenhang mit Tobias’ Erkrankung zu tun gehabt.«
»Haben Sie sich schon mal mit ihr privat getroffen?«
»Zwei-, dreimal vielleicht. Sie hat sich immer an mich gewandt, wenn sie mit den Nerven fertig war.« Wellner zuckte mit den Schultern und setzte sich nun doch an den Tisch. »Sie brauchte einfach jemanden, der kompetent ist und ihr die Ängste bezüglich Tobias’ nehmen konnte.«
»Und dieser jemand waren Sie.«
»Wir hatten einen guten Draht zueinander.« Er lächelte selbstgefällig. »Ich mochte sie.«
»Kümmern Sie sich um alle Angehörigen Ihrer Patienten so intensiv?«
»Nein, du lieber Himmel. Da würde ich ja nicht mehr fertig werden.«
»Warum also um sie?«
»Vielleicht, weil sie sich so besonders für ihren Sohn eingesetzt hat. Das hat mich gerührt.«
Gerührt, dachte Martin verächtlich. Konnte diesen Menschen überhaupt etwas rühren? Oder sollte er sich gänzlich in ihm geirrt haben?
»Warum ist sie nicht einfach zu Ihnen ins Krankenhaus gekommen?«
»Sie hat schon so viel Zeit im Krankenhaus verbracht, dass sie lieber woanders reden wollte.«
»Sie sagen, Sie mochten sie, haben aber keine Miene verzogen, als ich Ihnen von ihrem Tod erzählte.«
»Jeder verarbeitet solche Nachrichten auf seine Weise.«
»Hat sie Ihnen immer E-Mails geschickt, um sich mit Ihnen zu verabreden?«
»Nein. Für gewöhnlich rief sie an.«
»Haben Sie sich gewundert, dass das diesmal anders war?«
»Ein wenig schon.«
»Was wollte sie am Samstag von Ihnen?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich habe sie ja nicht getroffen. Unterwegs hatte ich eine Panne und bin dann mit dem Taxi nach Hause gefahren.«
»Warum sind Sie nicht mit dem Taxi zur Eisernen Hand gefahren?«
»Ich hab in der Saukälte eine Viertelstunde lang versucht, den verdammten Reifen zu wechseln. Aber die Schrauben ließen sich nicht lösen. Meine Finger waren steif gefroren, ich war sauer und hatte keine Lust mehr auf ein Date, bei dem ich sowieso nur den Psychologen spielen soll.« Er rieb sich das Genick. »Jetzt mache ich mir natürlich Vorwürfe, dass ich nicht doch hingefahren bin. Vielleicht hätte ich dieses schreckliche Unglück verhindern können.«
»Schildern Sie mir doch mal den zeitlichen Ablauf ab dem Moment, wo Sie zu Hause losfuhren.«
»Kurz nach neun bin ich zu Hause weg. Die Panne hatte ich auf der Aarstraße gleich hinter dem Abzweig zur Fischzucht. Das muss so viertel nach gewesen sein. Dann hab ich versucht, den Reifen zu wechseln. Um halb zehn hab ich mir ein Taxi bestellt. Das kam zehn Minuten später. Dann war ich etwa um zehn zu Hause.«
»Haben Sie ihr abgesagt?«
»Ich hab’s versucht, aber sie ist nicht an ihr Handy gegangen.«
»Warum haben Sie uns nicht gleich von Ihrer Verabredung erzählt, als wir Sie danach gefragt haben?«
»Ich hatte Angst, verdächtigt zu werden.«
»Verstehe.« Martin glaubte nicht, dass er sich in Steffen Wellner geirrt hatte. Dieser Mann wirkte unnatürlich und kalt.
»Sagen Sie, wissen Sie, welchen Wagen Anja Schulte gefahren hat?«
»Ich glaube einen Toyota. Warum?«
»Haben Sie sie nie in einem Saab gesehen?«
»Ich habe sie nur selten im Auto gesehen. Aber ein Saab?« Wellner zog für eine Sekunde die Nasenflügel hoch. Für Martin ein eindeutiges Zeichen, dass dem Arzt das Thema unangenehm war. Martin beobachtete ihn interessiert, während Wellner sich bemühte, seine Gefühle zu verbergen. Er legte den Zeigefinger auf seinen Mund und blickte nachdenklich in die Luft. »Nein«, sagte er schließlich. »Ich kenne nur diesen Toyota. Sind Sie sicher, dass sie einen Saab fuhr?«
»Das war wohl ihr Zweitwagen.«
»Wenn Sie jetzt keine Fragen mehr haben, würde ich gerne gehen. Meine Patienten warten.«
»Apropos Patienten. Ich habe da doch noch eine Frage. Wie viel verdienen Sie an einer Nierentransplantation?«
»Warum wollen Sie das wissen?« Misstrauisch betrachtete Wellner den Kommissar.
»Reine Neugier.«
»Sie haben doch alle Unterlagen gestern einkassiert. Schauen Sie doch da nach.«
»Für die Überprüfung Ihrer Abrechnungen sind andere zuständig. Also, beantworten Sie bitte meine Frage.«
Wellner seufzte laut. »Die Krankenkasse bezahlt zwanzigtausend Euro für die Standard-OP.«
»Wenn man bedenkt, dass diese OP etwa zwei Stunden dauert, ist das ein netter Stundenlohn.«
»Man merkt, dass Sie nicht in der freien Wirtschaft tätig sind, sonst
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