Innere Werte
der Schröders, dachte Martin. »Sie müssen doch irgendjemanden kennen, der für Ihren Mann tätig ist?«
»Ob Sie’s glauben oder nicht, aber ich interessiere mich überhaupt nicht fürs Geschäft und Namen kann ich mir sowieso nicht gut merken.«
Martin ließ einen Seufzer hören. Die Frau war ja wirklich ein Fall für sich. »Wie spät ist es bei Ihnen?«, wollte er wissen.
»Kurz nach neun. Wir haben nur eine Stunde Zeitverschiebung.«
»Sobald ihr Mann wiederkommt, soll er mich anrufen. Egal wie spät es ist. Kann ich mich darauf verlassen?«
»Ich werde es ihm sagen, wenn ich noch wach bin. Ansonsten lege ich ihm einen Zettel hin. Spätestens morgen früh hören Sie von ihm.«
Martin gab die Telefonnummer durch und notierte im Gegenzug die Adresse des Hotels. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Urlaub.« Er drückte das Gespräch weg und sagte zu seinen Kollegen gewandt: »Und euch wünsche ich einen schönen Feierabend. Ich glaube, wir können alle ein bisschen Schlaf vertragen. Wir sehen uns morgen früh, wenn nichts dazwischen kommt.«
Obwohl es so aussah, als ob sie heute zu keinem Ergebnis mehr kommen würden, machte sich bei Martins Kollegen ein wenig Zuversicht breit. Jetzt würde man bald wissen, wer der Tote war. Ein entscheidender Schritt in den Ermittlungen.
Auch wenn Martin das ebenso sah, verspürte er, wie immer bei einem neuen Mordfall, Unruhe in sich aufsteigen, die von Jagdeifer hervorgerufen wurde. So als hätte er eine Witterung aufgenommen, die den Fall in Gang brachte. Er fühlte sich wie an die Kette gelegt, zum Warten verurteilt. Es ärgerte ihn, dass die nötigen Informationen, die irgendwo schlummerten und zum Abruf bereitlagen, nicht greifbar waren. Alles ging viel zu langsam und mal wieder war Geduld gefordert. Nicht seine stärkste Tugend.
Zuhause empfing ihn bereits an der Tür ein herrlicher Duft. »Hm, wenn das mal nicht Weihnachtsplätzchen sind, die hier schon ganz ungeduldig auf einem Abnehmer warten«, rief er vom Flur.
Karla streckte den Kopf aus der Küchentür. »Wie kommst du bloß darauf?«
Lächelnd nahm er sie in die Arme. »Instinkt«, antwortete er und küsste sie leidenschaftlich. Ein wunderbares Gefühl machte sich in ihm breit und verdrängte die schrecklichen Erlebnisse des Tages.
»Herr Kommissar, sie sind unübertroffen.«
»Wegen meiner Küsse oder wegen des Instinkts?«, fragte er neckend und vergrub schnüffelnd seine Nase in ihren Haaren. Die ganze Frau roch nach Backstube.
»Wegen beidem.« Sie zog ihn in die Küche. »Komm, probier mal!« Damit steckte sie ihm ein Vanilleplätzchen in Herzform in den Mund und betrachtete zärtlich seine Gesichtszüge. Martin hatte eine längliche, gerade Nase, schmale Lippen und ein markantes Kinn. Er war ein attraktiver, sportlich wirkender Mann. Sein Alter von siebenundvierzig konnte man nur an einigen kleinen Falten und seinen leicht ergrauten Schläfen ausmachen.
Genüsslich kaute er und lobte Karlas Backkünste.
»Und jetzt noch deine Lieblingsplätzchen«, kündigte sie an und griff nach einer Blechdose mit Spritzgebäck. Martin griff zu, während sein Blick ins Spülbecken fiel. Sofort hörte er auf zu kauen und starrte auf den auseinandergebauten Fleischwolf, den Karla zum Durchdrehen des Plätzchenteiges genutzt hatte. Teigreste klebten noch an der Förderschnecke und das grauenhafte Bild von heute Morgen schob sich wieder in den Vordergrund. Er schloss die Augen und stöhnte.
»Was ist?«, fragte Karla besorgt.
Er öffnete die Augen wieder und sah seine Frau traurig an. »Das willst du nicht wissen.«
»Doch, das will ich.« Ihr Ton klang warm, aber bestimmt.
Martin ließ sich auf einen Küchenstuhl sinken. »Ich glaube, der heutige Tag hat mir die Lust auf Spritzgebäck nachhaltig versaut.«
Fragend blickte Karla ihn an, woraufhin Martin ihr kurz und knapp von dem Toten in der Kläranlage berichtete.
»Ich verstehe.« Sie setzte sich auf Martins Schoß und nahm ihren Mann fest in die Arme. »Dein Job ist aber auch manchmal die Hölle. Es tut mir so leid!«
Dankbar blickte er ihr in die Augen und sah Tränen darin glitzern. »Oh, Karla.« Auch er fühlte, dass Tränen im Anrollen waren. »Ich liebe dich«, sagte er zärtlich, »weil du so bist, wie du bist.«
Eine Weile saßen sie still zusammen und hielten sich nur fest.
6
Immer noch hatte er sich nicht gemeldet. Katrin lief nach einer schlaflosen Nacht wie ein Tiger im Käfig unruhig hin und her. Sie war verzweifelt. Was
Weitere Kostenlose Bücher