Innere Werte
dieser Dr. Wellner einen Zusammenhang zwischen Bielmann und Schulte herstellen. Bei dem Gedanken an Bielmann drängten sich ihm die Bilder aus der Kläranlage auf und er begann zu frieren.
Er war froh, als er endlich in seine Einfahrt einbog und Karla an der Haustür erblickte. Sie winkte ihm entgegen und ihr Lächeln hüllte ihn ein wie warme Sonnenstrahlen.
38
»Wann haben Sie Frau Schulte zuletzt gesehen?«
»Das ist schon eine ganze Weile her.«
»Könnten Sie eine ganze Weile etwas genauer definieren?«
»Ich würde sagen, mindestens vier Monate.«
Es war für Martin nicht zu übersehen, dass Steffen Wellner log. Der Einundvierzigjährige saß ihm gegenüber und lehnte sich mit einem arroganten Gesichtsausdruck in seinem Sessel zurück.
Halbgott in Weiß, schoss es Martin durch den Kopf. Dieser Arzt bediente hier ein ganz blödes Klischee. Martin hasste Klischees, weil sie so oft zutrafen.
»Herr Wellner«, Martin ließ den Doktortitel bewusst unter den Tisch fallen. »Wir wissen, dass Frau Schulte sich mit Ihnen verabredet hat.«
»Da wissen Sie mehr als ich.«
»Dann lesen Sie Ihre E-Mails nicht sehr gründlich.«
»Reden Sie doch nicht um den heißen Brei und sagen Sie einfach, was Sie eigentlich wollen.« Wellners Tonfall war spürbar gereizt.
»Anja Schulte hat Sie per E-Mail um ein Treffen am Samstagabend um neun Uhr an der Eisernen Hand gebeten.«
»Hat Sie nicht. Außerdem, warum sollte sie?«
»Das weiß ich nicht. Deswegen sind wir ja hier. Wir hatten gehofft, dass Sie uns helfen könnten, etwas Licht in die noch ungeklärten Umstände zu bringen.«
Martin hatte dem Arzt zu Beginn des Gesprächs genau erläutert, wie Frau Schulte zu Tode gekommen war. Reglos hatte er das zur Kenntnis genommen.
Eiskalt der Typ!, dachte Martin.
»Glauben Sie etwa, ich habe mit ihrem Tod irgendwas zu tun?«
»Sagen Sie es mir.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich. Warum sollte ich Frau Schulte etwas antun?«
»Dann können Sie mir sicher sagen, wo Sie am vergangenen Samstagabend zwischen dreiundzwanzig und vierundzwanzig Uhr waren.«
»Es ist unglaublich!«, sagte Wellner empört und breitete die Arme aus wie der Papst zur Predigt. »Sie verdächtigen mich tatsächlich. Aber bitte, wie Sie wollen. Ich war zu Hause.«
»Kann das jemand bezeugen?«
»Meine Frau.«
»Wunderbar.« Die Männer fixierten sich und die gegenseitige Abneigung war in ihren Augen deutlich zu sehen. In diesem Moment war Martin sicher, dass Steffen Wellner auf irgendeine Weise in den Fall verwickelt war. Und sein selbstgefälliger Gesichtsausdruck stachelte Martin nur noch mehr an, den Zusammenhang herausfinden zu wollen. »Wie gut kannten Sie Frau Schulte?«
»So gut, wie man die Angehörige eines Patienten eben kennt. Sie wissen ja sicher von Tobias.«
Martin nickte. »Sie waren also nie mit ihr privat zusammen?«
»Nein, es ging immer nur um die Nierentransplantation.«
»Gab es da irgendwelche Probleme?«
»Nein, Tobias war ein Vorzeigepatient. Alles ist prima gelaufen.«
»Was für einen Eindruck hatten Sie von Frau Schulte?«
»Sie war sehr besorgt um ihren Sohn. Das hat sie alles unheimlich mitgenommen.«
»Würden Sie sagen, sie war psychisch labil?«
»Ja, ich glaube schon. Sie hat diese ganze Sache mit Tobias nicht gut verkraftet. Ihre Nerven lagen völlig blank. Sie hat auch hier während unserer Gespräche oft geweint.«
»Aber es ist doch alles gut gegangen. Sicher war sie hinterher erleichtert.«
»Ich weiß nicht, sie machte auch da noch den Eindruck, völlig überfordert zu sein. Tobias muss ja regelmäßig Medikamente einnehmen und auf die Ernährung achten. Sie hat das sehr genau genommen und sich mehr als nötig gestresst.«
»Könnten Sie sich vorstellen, dass sie Selbstmord begangen hat?«
»Wäre möglich.«
»Tatsächlich?« Misstrauisch betrachtete Martin den Arzt, dessen Worte der Aussage ihres Sohnes komplett widersprachen. Laut Tobias war Anja Schulte eben keine »Depri-Tussi« gewesen.
»Nichts ist unmöglich. Das müssten Sie in Ihrem Job doch häufig erfahren.« Steffen Wellner lächelte. »Wissen Sie, ich habe mir zwei Zitate von Humboldt auf die Fahne geschrieben.«
»Die da wären?«
»Gewiss ist es fast noch wichtiger, wie der Mensch sein Schicksal nimmt, als wie sein Schicksal ist«, sagte er bedeutungsvoll. »Meine Patienten kriegen das auch immer zu hören. Und Frau Schulte habe ich das auch gesagt. Es ist eben alles eine Frage der Einstellung im Leben.«
»Wie
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