Innere Werte
blickte an der Fassade hinauf. Das Gebäude war modern und hell und bestand zum größten Teil aus Fenstern. Man hatte nicht unbedingt den Eindruck, in ein Krankenhaus zu kommen. Für die Patienten wohl ein angenehmer Aspekt.
Martin hatte bereits gestern Abend im Internet über die Humboldt-Klinik recherchiert. Das Haus war vor fünfzehn Jahren erbaut worden und verfügte über hundertzwanzig Betten sowie verschiedene Funktionsbereiche. Der Schwerpunkt der Klinik für Nephrologie und Innere Medizin lag auf Nierenerkrankungen, Bluthochdruck, rheumatologischen Systemerkrankungen und Transplantation. Dr. Steffen Wellner war seit zwölf Jahren Direktor der Klinik, die sich mittlerweile zum fünftgrößten Zentrum für Nierentransplantation in Deutschland entwickelt hatte. Dem Ruf nach zu urteilen, schien er als Transplantationschirurg eine echte Koryphäe zu sein.
Das ist ihm sicher zu Kopf gestiegen, überlegte Martin und zog den Reißverschluss seiner Jacke zu. Die Temperaturen waren zwar heute über null geklettert und die Schneeschicht schmolz dahin, trotzdem war es unangenehm kalt.
»Genau so einen wie diesen Wellner hab ich noch gebraucht. Er ist die perfekte Verbindung zwischen beiden Fällen. Er ist Arzt, kennt beide Opfer.«
»Bielmann doch nicht.«
»Bielmann auch, sonst hätte er auf jeden Fall gefragt, warum er ein Alibi für den zehnten Dezember braucht. Die Lügen gingen ihm zwar locker über die Lippen, aber nicht unbemerkt. Für mich ist er hoch verdächtig. Und wenn ich mich recht erinnere, benutzen sie in der Klinik diese Rethcon-Fäden. Würde mich nicht wundern, wenn sie auch Handschuhe von der Firma Severen verwenden.« Wieder schossen ihm die Nierenspieße vom Weihnachtsmarkt durch den Kopf. Vielleicht hatte Wellner schnell mal eine Niere gebraucht und sich bei Bielmann bedient? War so was möglich? In Deutschland?
»Für einen Arzt hatte der Schnösel erstaunlich wenige E-Mails auf seinem Rechner«, riss Paul Martin aus seinen Gedanken, während er neben ihm durch den Schneematsch zum Wagen stapfte. »Ich tippe mal auf eine Festplattensäuberungsaktion.«
»Das heißt, wir müssen uns schnellstmöglich vom Staatsanwalt einen richterlichen Beschluss für das Ding holen. Wenn wir Glück haben, finden wir noch was.«
»Da bin ich fast sicher. Der sieht mir nicht so aus, als ob er viel Ahnung von Computertechnik hat.«
»Mir scheint«, lachte Martin, »du hast keine besonders gute Meinung von Dr. Wellner.«
»Ach, das bildest du dir nur ein. Ich hab immer was übrig für arrogante Arschlöcher.«
Sie liefen über den Parkplatz. »Da sieh mal einer an!«, rief Paul plötzlich und blieb vor einem schwarzen Jaguar XJ stehen. Ein Schild verriet, auf wessen Stellplatz der Wagen stand. »Der Wagen des Herrn Direktor.« Neugierig lugte er durch das Fenster.
»Ein V8, nette Karosse«, sagte Martin und tat es Paul gleich.
»Cooles Outfit: weißes Leder kombiniert mit Edelholz«, kommentierte er, was er sah.
»Nobel geht die Welt zugrunde.«
»Würd mich interessieren, was diese sportliche Luxuslimousine kostet.«
»Frag Michael oder Dieter. Die wissen das.«
Im Präsidium angekommen, berichtete Martin von Steffen Wellner, so dass sich auch Dieter und Michael ein Bild machen konnten.
»Also ein unangenehmer Typ«, folgerte Dieter.
»Und lügt wie gedruckt«, ergänzte Paul.
»Ja, der Herr Doktor ist vielleicht gut im Transplantieren, aber beim Lügen muss er noch üben.« Martin stand am Fenster und steckte die Hände in die Hosentaschen.
»Aber ein Auto hat der«, schwärmte Paul und beschrieb den Wagen.
Noch bevor er fragen konnte, sagte Dieter: »Der kostet bestimmt hunderttausend.«
»Das wollte ich wissen.« Zufrieden lehnte sich Paul auf seinem Stuhl zurück.
»Wir bewegen uns in gehobenen Kreisen.«
Michael hatte inzwischen die Homepage von Jaguar aufgerufen und zitierte: »Eine wegweisende Luxuslimousine, die stilvoll, anregend und schonend im Umgang mit Ressourcen ist.«
»Wäre interessant zu erfahren, was die unter schonendem Umgang mit Ressourcen verstehen. Der braucht in der Stadt bestimmt siebzehn Liter.«
»Kommt hin«, bestätigte Michael. »Die 385 Pferdestärken müssen ja von irgendwas leben.«
»385 PS?«, rief Paul. »Is’ ja irre! Den würde ich gern mal fahren. Wie schnell ist die Kiste?«
»Fährt nur zweihundertfünfzig, weil er abgeregelt ist.«
»Die kann der liebe Doktor auf dem Weg zur Arbeit sicher ausfahren«, sagte Martin.
»Ein
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