Innerste Sphaere
durchgeschnitten hatte, von einem Ohr zum anderen.
Heilige Scheiße!
Dann näherte er sich der zitternden Hausfrau. »Ich heiße Lucy Stein«, sagte die Frau mit einer hohen, kindlichen Stimme und versuchte wegzurobben.
Der Wächter ließ sich neben ihr auf die Knie nieder und betrachtete sie halb traurig, halb entschlossen. »Du hast Lucy Stein geheißen.«
Er hatte ihr die Kehle durchgeschnitten, bevor sie antworten konnte.
So ein Mist, Nadia, bleib, wo du bist. Rühr dich nicht.
Langsam stand der Wächter auf. Schwankend beugte er sich vornüber und stützte sich auf seine Schenkel. Ich fragte mich, ob er wegen seiner Wunden zusammenbrechen würde. Hoffentlich, denn dann konnte Nadia sich verziehen. Er atmete schwer, aber ob das vom Kampf kam, konnte ich nicht beschwören. Sein Blick ruhte auf der toten Hausfrau, deren Blut wie ein Heiligenschein ihr Gesicht umrahmte. Der Wächter zuckte zusammen, schloss die Augen und bewegte lautlos die Lippen. Ob er betete? Blut tropfte von seiner Schulter und vermischte sich auf dem Steinboden mit dem seines Opfers.
Nadia bewegte sich, bereit zur Flucht. Meine Gedanken überschlugen sich. Rühr dich nicht atme nicht schrei nicht lauf nicht. Ihr Herzschlag dröhnte in meinen Ohren – sie war überzeugt, dass dieser Mann ihr auch die Kehle durchschneiden würde, wenn er merkte, dass sie seine Verbrechen beobachtet hatte. Sie stolperte rückwärts und stieß gegen einige überfüllte Mülltonnen. Mit ohrenbetäubendem Scheppern fielen sie um. Als Nadia mitten in dem Müllhaufen, in den sie gefallen war, den Kopf hob, hielten wir beide die Luft an. Die lederbewehrten Beine des Wächters standen direkt vor ihr.
Nadia stieß einen Angstschrei aus, als der Wächter sie hochzog und gegen die Mauer drückte. Seine rechte Hand schloss sich um ihren Hals. Ich konnte direkt in seine dunkelbraunen Augen schauen. Und ich spürte, wie sein heißer Atem Nadias Gesicht streifte, roch das Leder auf seiner Haut. Er neigte den Kopf und atmete tiefein, seine Nase tastete Nadias Wange ab, dann trat er zurück und ließ sie los.
»Deutsch?«, fragte er. Nadia starrte ihn hilflos an. Er seufzte. »Englisch?«
Nadia nickte.
»Du musst Zuflucht suchen«, riet er ihr mit müder Stimme. »Die Mazikin sind heute Nacht zum Rekrutieren unterwegs, da solltest du nicht auf der Straße bleiben.« Hinter ihm war ein Geräusch und er drehte sich abrupt um. Nadia sah gerade noch, wie Ibram um eine Ecke verschwand. Der Wächter fluchte laut. Tja, es war in einer fremden Sprache, aber sein Tonfall sagte genug. Rasch steckte er sein Messer ein und machte zwei Schritte auf den Anfang der Gasse zu. Er deutete in die Richtung, in die Nadia hatte laufen wollen. »Nicht da entlang. Das ist gefährlich.« Dann zeigte er auf ein Hochhaus jenseits der Straße. »In dem Gebäude gibt es leere Wohnungen. Du siehst schon, welche frei sind. Die Türen stehen offen. Du kannst dir in einer davon ein Bett herrichten. Hast du mich verstanden?«
Als Nadia erneut nickte, nahm er die Verfolgung Ibrams auf. Wir sanken schluchzend zu Boden.
»Lela! Reiß dich zusammen!«
Ich riss den Kopf hoch und sah, wie aus Gaslaternen Ranken und Blätter sprossen. Wie die Pflastersteine unter meinen Füßen wieder zu Ziegelsteinen wurden. Finger schlossen sich um meine Schultern und rüttelten mich.
Verschwommen sah ich Dianes Gesicht, ihr Blick war panisch. »Ich rufe einen Krankenwagen!«
Fast überrascht, dass ich meinen Körper wieder unter Kontrolle hatte, schüttelte ich den Kopf. »Bloß nicht.« Meine Stimme war heiser. Ich entwand mich Dianes Händen und stand mühsam auf. An der Hausmauer kauernd hatte ich auf dem Boden gehockt. Der umgestürzte Grill lag vor mir, glanzlose, krümelige Asche war über die Veranda verstreut.
»Du hast Nadias Namen geschrien. Du hast ihr gesagt, sie sollte sich nicht rühren, nicht rennen. Mit mir hast du nicht gesprochen. Du hättest dich verbrennen können.« Atemlos zog Diane ihr Handyaus der Tasche und fuchtelte damit herum. »Ich weiß, dass du trauerst, aber das ist nicht normal.«
Diese Untertreibung war fast schon lustig. »Die Gefühle haben mich anscheinend … überwältigt. Es kommt nicht wieder vor.« Mit zitternden Händen staubte ich meine Hose ab, dann griff ich nach dem Besen, der an der Bank neben der Schiebetür lehnte. »Siehst du? Mir geht’s gut. Ich mache hier noch sauber, dann komm ich rein.«
Diane behielt mich im Auge, während sie Knöpfe auf ihrem Handy
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