Innerste Sphaere
strahlend, und versicherte mir irgendwie, dass der Kampf vorbei war und alles gut würde.
Ein flüchtiger Gedanke kam mir in den Sinn:
Bitte, Diane soll nicht denken, ich wäre gesprungen
… Aber ich konnte ihn nicht festhalten,das Gefühl der Sicherheit und des Glücks durchströmte mich und ließ keinen Platz für Sehnsüchte, Angst oder Reue.
Auf dem Rücken liegend starrte ich in den strahlend blauen, wolkenlosen Himmel. Die Wiese, auf der ich lag, duftete und war so seidenweich und kuschelig wie ein Bett. Ich setzte mich langsam auf und versuchte, mir das Geschehene wieder in Erinnerung zu rufen. Ich wusste nur noch, dass ich gefallen war, das war alles. Über irgendetwas hatte ich mich aufgeregt, aber worüber war mir nicht klar. Sich jetzt noch Sorgen zu machen, erschien mir überflüssig.
Lächelnd stand ich auf.
Und bemerkte, dass ich nicht allein war.
Alle paar Sekunden tauchte noch jemand auf, materialisierte sich aus dem Nichts, erhob sich bald mit einem breiten Lächeln im Gesicht aus dem Gras. Alle sahen sich um, manche leicht verwundert, keiner ängstlich. Sie blickten hinüber zur Sonne und liefen los über die blühende Wiese, aufrecht, mit entspannten, federnden Schritten. Alte und Junge, jeder Hautfarbe. Alle glücklich. Ich verstand ihre Miene. Weil ich mich genauso fühlte. Ich hatte nie ein richtiges Zuhause gehabt, aber das hier war wie heimkommen. Ich hob in stiller Dankbarkeit die Arme zum Himmel, sog die Wärme der Sonne in mich auf.
Dann sah ich ihr Gesicht auf meinem Arm.
Sie war mit mir gekommen, ein Gespenst, eine Gejagte. Der Schmerz in ihren Augen traf mich wie ein Faustschlag in den Magen, sofort war die Luft raus aus dieser Blase der Zufriedenheit. Meine Arme sanken wieder nach unten und da hörte ich es: das unverkennbare Quietschen aus meinen Albträumen. Das Selbstmordtor schwang auf. Ich wirbelte herum und versuchte die Quelle des Geräusches ausfindig zu machen, verblüfft, dass ich es vorher nicht bemerkt hatte.
Dort in der Ferne erstreckte sich hinter hohen Mauern eine Stadt. Eine Kuppel aus Dunkelheit wölbte sich über sie, hüllte den Horizont in immerwährende, tiefe Nacht. Sobald ich das Tor gesehen hatte, sobald ich das Quietschen gehört hatte, erkannte ich die Stadtwieder. Und ich wusste, Nadia war dort. Alles was ich geträumt, was ich gesehen hatte, war real.
Die Leute um mich herum schienen das metallische Kreischen der Pforte nicht zu hören. Keiner drehte sich um. Keiner von ihnen nahm die Stadt wahr, die sich hinter ihnen auf dem Hügel abzeichnete. Aber als ich sie einmal gesehen hatte, konnte ich mich nicht mehr abwenden.
Ich stapfte durch das Gras auf die dunkle Kuppel zu, Blumen kitzelten meine Knöchel, die Freude war nur noch eine blasse Erinnerung. Als ich die Grenze zwischen Licht und Dunkelheit erreichte, hemmte Unentschlossenheit meine Schritte und ich sank auf den Boden.
Was, wenn …
Was, wenn sie sicher in der Wohnung angekommen war? Was, wenn ich sie finden konnte? Was, wenn ich sie da rausholen konnte? Was, wenn ich sie ins Sonnenlicht führen konnte? Was, wenn ich im Tod das schaffte, was ich im Leben nicht gekonnt hatte?
Was, wenn ich sie retten konnte?
Aber sie zu retten hieße, dass ich da rein musste. In diese Stadt, der ich seit Jahren zu entfliehen versuchte. Wollte ich mir das wirklich antun? Was, wenn ich ihr überhaupt nicht helfen konnte?
Keine Ahnung, wie lange ich dasaß und in die Finsternis starrte, zuhörte, wie das Tor aufschwang und zuknallte. Ich weiß nicht, wie lange ich für meine Entscheidung brauchte. Es war härter, als ich gedacht hätte. All die Male, die ich von der Stadt geträumt hatte, war mir nie klar gewesen, was außerhalb ihrer Mauern lag. Hier draußen war es himmlisch und ich wollte nicht fort. Alles, was ich je gebraucht hatte, war hier. Da war ich mir sicher.
Aber wie konnte ich Nadia im Stich lassen? Wie konnte ich mein Leben nach dem Tod genießen, wenn ich nie herausfinden würde, was ihr zugestoßen war? Nach allem, was sie für mich getan hatte. Nächtelang hatte sie mit mir gelernt, immer wieder war sie vor ihren Freundinnen für mich eingetreten, sie hatte sogar einen Brief an meine Bewährungshelferin geschrieben. Nachdem sie mir gezeigt hatte, dass ich etwas wert war, mir gesagt hatte, dass sie mir vertraute … Wiekonnte ich ihr jetzt den Rücken kehren, wo ich doch wusste, was sie durchmachte? Sollte ich sie etwa
wieder
im Stich lassen?
Nein. Das ging nicht. Ich musste sie
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