Innswich Horror (German Edition)
eingestehen wollte. Das Einzige, was ich noch mehr hasste als ihn, war, wozu mich seine Manipulation getrieben hatte.
Als ich eine abgeschiedene Ecke zwischen den Bäumen gefunden hatte, schlug ich den Ordner auf und sah mir das fünfte Bild unterhalb der Fotos der Stadt an. Es war natürlich ein Foto von Mary, in deprimierend expertenhafter Auflösung und Beleuchtung. Sie war nackt, ja, und – schlimmer noch – schwanger, doch selbst in diesem Zustand hatte sie für Zalens verfluchte Linse eine verführerische Positur eingenommen. Es war eine schreckliche Kollision von Gegensätzen gewesen, die meinen sofortigen Kauf ausgelöst hatte. Aber ich wusste, ich wusste um meines Lebens und der Liebe Gottes willen, dass ich KEINER von Zalens degenerierten Kunden war. Es war der Schreck über die zuvor erwähnte Kollision gewesen, der mich gezwungen hatte, es zu kaufen: der Liebreiz verwoben mit einem aufwühlenden Motiv, die Anmut und Schönheit Hand in Hand mit der Verderblichkeit einer unterdrückten Frau. Es fiel mir jetzt auf, dass Mary dermaßen schön war, dass ich hätte erschaudern können. Auf dem Bild hätte ich sie fünf Jahre jünger geschätzt, aber wenn überhaupt schien ihre derzeitige Schönheit sogar noch intensiver. Was sollte es, wenn ein Teil von Zalens obszönen Verunglimpfungen im Wesentlichen den Tatsachen entsprach? Selbst wenn sie in schlechteren Zeiten als Prostituierte gearbeitet hatte, wer war ich, über sie zu richten?
Ich würde es nicht tun. Seit undenklicher Zeit waren Frauen durch die Männer und deren Lust ausgenutzt worden; Marys Vergangenheit ging mich nichts an, da ich wusste, dass Gott alles vergibt. Ich konnte nur beten, dass er mir vergeben würde.
Auf dem Weg zurück in die Stadtmitte fand ich einen billigen Laden, der genau das anbot, was ich brauchte: eine kleine Aktentasche. Ich tätigte meinen Kauf bei einem weiteren freundlichen Olmsteader, einem Mr. Nowry, der sich sehr über mein Trinkgeld freute. »Wie komme ich auf dem schnellsten Weg zum Ufer?«, erkundigte ich mich.
»Folgen Sie einfach der Kopfsteinpflasterstraße, Sir«, deutete er. »Die führt Sie direkt zum Wasser. Und da unten ist es wirklich sehr schön.«
»Da bin ich mir sicher. Vielen Dank.«
»Achten Sie nur darauf,«, beeilte er sich hinzuzufügen, »sich nicht nach Einbruch der Dunkelheit da aufzuhalten.«
Die freundliche Warnung kam mir unangebracht vor. »Aber Olmstead scheint mir nicht gerade …«
»Ja, Sir, das ist eine schöne Stadt mit netten Leuten. Aber in jeder Stadt gibt es ein paar faule Äpfel, nicht wahr?«
Da hatte er allerdings recht. Als ich den Laden verließ, sah ich im Büro eine Frau, von der ich annahm, sie müsse seine Gattin sein, etwas auf Papier kritzeln.
Und ihr überweites machte kein Geheimnis aus der Tatsache, dass sie schwanger war.
Noch eine Frau, die ein Kind erwartet, dachte ich und versuchte mühevoll, zunächst über meine Besorgnis nachzusinnen. Gut, mir waren in der kurzen Zeit seit meiner Ankunft ungewöhnlich viele schwangere Frauen begegnet, aber ich durfte nicht vergessen, dass ich im Grunde ein Kosmopolit war, der in eine neue und kleine Arbeiterortschaft gekommen war. Eigentlich unterstützte ich die Initiativen der Regierung, das Bevölkerungswachstum zu fördern. Die kleinen Gemeinden waren stärker darin eingebunden und offenbar auch empfänglicher dafür, was auf lange Sicht dem größeren Ganzen zugutekam. Mit diesem Wissen überdachte ich meine anfängliche Reaktion auf die Zahl werdender Mütter, die ich gesehen hatte. Gewiss war sie nicht so übertrieben, wie ich gedacht hatte.
Als ich mich gemächlich dem Ufer näherte, bemerkte ich jedoch ein niedriges, offenes Blockhaus, in dem ich ein volles Dutzend Frauen sehen konnte, die zufrieden frische Austern aus der Schale brachen und eindosten. Die meisten von ihnen waren schwanger.
Zalens Einschätzung des industriellen Zentrums der Stadt erwies sich als überaus zutreffend. Mir fiel sofort auf, dass Innswich Point trotz der großartigen, nach Meeresbrandung duftenden Aussicht auf den Hafen in der Tat einen sehr traurigen Anblick bot. Aber, oh, hätte ich diesen Ort doch nur so sehen können wie Lovecraft! Wenigstens würde mir Zalens Foto ein Faksimile dieses Privilegs ermöglichen. Alles, was jetzt blieb, war der Teil des Namens, den sich der Meister ausgeborgt hatte. Eine weitere Enttäuschung erwartete mich, als ich hinaus auf das Riff blickte und mir dann einfiel, dass es überhaupt kein Riff
Weitere Kostenlose Bücher