Innswich Horror (German Edition)
Jawohl, ein weiterer Tunnel.
Den werde ich unter gar keinen Umständen betreten, gab ich mir die Selbstanweisung, doch bevor ich es bewusst registrierte, entsandten meine Füße mich in diesen in den Fels gehauenen Eingang. Ungeachtet all der Bitterkeit dessen, was ich bisher gesehen hatte, drängte sich mir die Frage auf, ob Lovecraft selbst sich in einen dieser Tunnel hineingewagt hatte; dann wurde mir klar, dass er es getan haben musste, denn woher sonst hätte er vergleichbare unterirdische Netzwerke in Meisterwerken wie nicht nur »Schatten über Innsmouth«, sondern auch »Das Fest«, »Der Außenseiter«, »Ratten im Gemäuer« und so weiter ableiten können. Ich befand mich nun inmitten einer Geschichte von Lovecraft, wusste allerdings, dass das obszöne Gemetzel, das im Hilman stattfand, sowie die Höhle des Schreckens beileibe keine »Geschichte« waren. Dennoch überstieg das Ausmaß meiner Neugier die Leistungsfähigkeit meiner Vernunft.
Ich musste sehen, was sich am Ende dieses Tunnels befand.
Während die hin und wieder eingeschaltete Taschenlampe mich voranführte, drang mir ein weiterer Geruch in die Nase, dankenswerterweise war es nicht der des Todes noch so übel riechend. Es war ein starker Duft mit einer bestimmten Ausprägung. Je tiefer ich in den Tunnel vordrang, desto vertrauter wurde das Odeur:
Es roch zweifellos nach Fisch.
Mir blieb die Luft weg, als der Tunnel in eine unterirdische Kammer überging, die mehrfach so lang und breit war wie die vorherige, und in dieser ruhten mehrfach so viele Leichen.
Diese hier waren allerdings irgendwie anders …
Warum kein Gestank nach Verwesung und natürlichem Verfall?, überlegte ich. Warum lediglich der Geruch nach frischem Fisch? Aber als meine Augen die Einzelheiten dessen registrierten, was meine Netzhäute erfassten, wurde mir hier noch übler als in der vorangegangenen Grabstätte.
Der Berg aus Körpern war riesig, fünf bis sieben Meter hoch und bestimmt dreißig Meter lang. Doch mein Wahrnehmungsvermögen schien sich zu verzerren, als ich diesen Morast aus aufgetürmten Leichen blinzelnd musterte. Sie … sie … sie sind nicht völlig menschlich, begriff ich. Einige mehr, andere weniger … Fast allen hatte man die Kleidung abgenommen. Ihre tote, nackte Haut schimmerte wachsweiß und unter dieser lichtdurchlässigen Blässe zeichneten sich grün geaderte Verfärbungen ab. Schwerwiegende körperliche Deformationen hatten den Löwenanteil der Leichen in abscheuliche Missbildungen verwandelt. Die meisten waren kahlköpfig, aber alle besaßen weit offene, überwiegend blaue, übermäßig vorstehende Augen. Bei näherer Inspektion entdeckte ich mal mehr, mal weniger verlängerte Hände und Füße, und zwischen den Fingern und Zehen sah ich eindeutig …
Mein Gott …
… Schwimmhäute.
Beim Anfassen – und ich weiß nicht, was mich dazu veranlasst hat, eines dieser Dinger anzufassen –, fühlte die Haut sich seltsam feucht, schleimig und gummiartig an, ähnlich wie Froschhaut. Aber die schrecklichste Entdeckung erwartete mich noch: Wenigstens die Hälfte dieser deformierten Verblichenen hatte Schlitze entlang der Kehle. Wie Kiemen.
Genau wie in der Geschichte, ratterten meine Gedanken. Konnte das denn wirklich wahr sein? Wahnsinn, dachte ich stattdessen. Gewiss konnten unterirdische Gase, die bekannt dafür waren, sich in Höhlen und Tunneln wie diesen zu sammeln, Halluzinationen hervorrufen. Es war mein Unterbewusstsein, derzeit benebelt von solchen Ausströmungen, das mich glauben ließ, Lovecrafts größtes Werk würde auf einer Art biologischer Tatsache basieren. Ich trat zurück von dem grausamen Haufen klaffender Münder; nicht blinzelnder glasiger kugelförmiger Augen; blasser, verbogener Gliedmaßen; und Ohren, die teilweise oder komplett geschrumpft zu sein schienen, auf haarlosen, halbmenschlichen Schädeln. Verletzungen waren ohne Frage die Todesursache dieser missgebildeten Opfer gewesen: Wunden, fast ausschließlich am Kopf und an der Brust, und es gab Hinweise, dass der überwiegende Teil der Wunden von Klauen und Zähnen hervorgerufen worden war.
Ich war von diesem höchst monströsen und unglaublichen Anblick zu überrascht, um weiter nachdenken zu können. Ich hatte keine Wahl, als meine geistige Gesundheit ernsthaft zu bezweifeln, doch dann hörte ich wie in der ersten Kammer des Todes erneut das Geräusch näher kommender Schritte …
Erneut löschte ich mein Licht und duckte mich hinter eine Flanke
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