Inquisitor: Drei Romane in Einem Band. Mit Bonusmaterial: "Die Innere Bestie" [u.a.]. Ian Watson. Mit Einer Einf. Des Autors. [Dt. Übers. Von Walter Brumm Und Christian Jentzsch].
flackerte. Sie ließ sich jetzt sehen — wurde aber nicht gesehen.
Während sie Arkaden und
Galerien durchschritt, verzehrte sich der Finger und brannte bis zum mittleren
Fingerglied herunter.
Ein dunkelgekleideter
Arbitrator kam aus einem Seitenkorridor.
Bewaffnet mit einer
Laserpistole, vertrat er ihr den Weg.
In seinem gespiegelten
Helmvisier sah sie die Flamme des Fingers flackern. Der Arbitrator war
verdutzt. Er konnte Rakel nicht ausmachen, als sie stillstand und den Atem
anhielt. Aber eine Polarisierung des Lichts musste ihn die Fingerflamme in
ihrer Hand sehen lassen, als ob eine leuchtende Motte in der Luft schwebte.
»Was ist das?«, hörte sie seine
Stimme. Er sprach Imperiales Gotisch, da er sich in einem imperialen
Gerichtshof befand und sehr wahrscheinlich von einer anderen Welt stammte. Er
schüttelte den Kopf, als glaube er an eine Sinnestäuschung. »Wo bist du,
Corvo?«, fragte er mit erhobener Stimme. »In diesem Visier ist ein
Materialfehler. Du benutzt ihn doch gewöhnlich, nicht wahr?« Der Kollege namens
Corvo schien nicht in der Nähe zu sein.
Der Arbitrator nahm eine Hand
von der Laserpistole, so dass sich der Lauf abwärts neigte. Er hob eine Hand zum
Helmvisier und schob es aufwärts. Ein schmales, ernstes Gesicht erschien. Von
den Nasenflügeln des Mannes hingen zwei gleiche Anhänger wie gehärtete Tropfen
Nasenschleim. Wahrscheinlich dienten sie als Gasfilter.
Stirnrunzelnd starrte er Rakel
an.
Ihre Lungen drohten zu platzen.
Sie musste einfach ausatmen.
Beim leisen Aushauchen ihres
Atems, das kaum ein Seufzer war, wurde die Laserpistole in einer Hand hochgerissen.
Rakel krümmte einen Finger.
Diesmal hatte sie sich richtig erinnert und gut gezielt. Die Giftnadel traf den
Arbitrator in die Wange.
Er krümmte sich. Im
Vorwärtsspringen fing sie die seiner Hand entgleitende Laserpistole auf, bevor
sie auf den Boden polterte. Der Arbitrator fiel gegen sie. Ihr plötzliches
Vorspringen hatte den Finger ausgelöscht. In seinen letzten Sekunden
schreckerfüllter Klarheit mochte der Arbitrator Rakels Augen in ihrem
geschwärzten Gesicht erblickt haben, die wie ein Raubtier aus dem Meer der
Seelen auftauchten, um ihn fortzureißen.
Krämpfe schüttelten seinen
Körper wie in einer perversen Ekstase. Der Helm rutschte ihm vom Kopf. Sie musste
den Finger fallen lassen, um den Helm aufzufangen. Die Laserpistole in einer
Hand, den Helm in der anderen, ließ sich Rakel mit ihm zu Boden sinken, um den
Fall des sterbenden Arbitrators zu verlangsamen.
Sekundenlang wand er sich auf
ihr, bis er plötzlich erschlaffte.
Sie befreite sich von der toten
Last des Arbitrators, fand den Finger und schleifte den Leichnam in einen Winkel.
Dort entkleidete sie ihn seiner schwarzen Uniform, legte sie selbst an und
setzte den Spiegelhelm auf.
Den Rest des Fingers steckte
sie in die Tasche.
Das gesuchte Datenarchiv war in
der Nähe des Amtszimmers eines Richters. Dessen geschnitzte Flügeltür stand
offen, und in einem Vorzimmer brannten fruchtiges Aroma verströmende Öllampen.
Ein Wandmosaik stellte eine antike Gerichtsszene dar.
Auch die dicke Tür aus
beschichtetem Stahl, die zum Datenarchiv führte, stand offen. Helles Licht fiel
in den Korridor. Vorsichtig näherte sie sich der Öffnung.
Das Archiv war nicht besonders
groß. Keine aufragenden Stahlregale mit Hunderten von dickleibigen Folianten,
wie Rakel sie anderswo bereits gesehen hatte, keine Leitern und Galerien.
Stattdessen gab es ein enormes
zentrales Buch, das höher als sie selbst und auf einer drehbaren Platte
befestigt war. Die segelartigen Seiten aus steifem Kunststoff waren
aufgefächert und nahmen drei Viertel eines Kreises ein. Wie die Worte auf einer
bedruckten Seite waren Hunderte kleiner Datenträger in Zeilen und Kolumnen
unter Hinweiscodes angeordnet.
Ein in Seide gekleideter
Beamter wendete eine Seite, offenbar auf der Suche nach einem Datenträger. Er
war ungewöhnlich groß und dünn, als hätte man ihn auf einer Streckbank seinen
Pflichten als Archivar angepasst.
Seine langen dünnen Arme
glichen den Beinen einer Meerspinne.
Wie es schien, suchte der
Beamte im Auftrag einer breiten, massigen Gestalt in einer prachtvollen,
hermelinbesetzten Robe und einem mächtigen schwarzen Turban.
Die Augen dieses Würdenträgers
quollen hinter absurd kleinen, silbergefassten Brillengläsern. Ein kragenartig
breiter Kropf ließ den Hals des Richters über den Hermelinbesatz schwellen.
Sein Kopf gemahnte an den Gipfel eines in
Weitere Kostenlose Bücher