INRI
Glogauer! Karl Glogauer!«
Und sie sagten: »Hört, er spricht mit der Stimme Adonais.«
»Nennt mich nicht bei diesem Namen!« schrie er sie an, und sie erschraken und ließen ihn allein, bis sich sein Zorn gelegt hatte. Gewöhnlich suchte er sie dann wieder auf, als lege er großen Wert darauf, ihre Gesellschaft nicht zu verlieren.
Ich habe Angst vor meinem eigenen Geist. Ich habe Angst vor dem einsamen Glogauer.
Sie bemerkten, daß er sein eigenes Spiegelbild nicht gern sah. Sie hielten das für Bescheidenheit und versuchten ihm nachzueifern.
Als das Wetter sich änderte und der Winter kam, zogen sie nach Kapernaum zurück, das zu einer Hochburg seiner Anhänger geworden war.
In Kapernaum wartete er den Winter ab und sprach während der Zeit zu allen, die ihn hören wollten. Die meisten seiner Reden befaßten sich mit Prophezeiungen.
Viele dieser Prophezeiungen betrafen ihn selbst und das Schicksal seiner Jünger.
Da verbot er seinen Jüngern, daß sie niemand sagen sollten, daß er, Jesus, der Christus wäre. Von der Zeit an fing Jesus an und zeigte seinen Jüngern, wie er müßte hin gen Jerusalem gehen und viel leiden von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und am dritten Tage auferstehen.
Matthäus 16, 20-21
Sie saßen in ihrer Wohnung vor dem Fernseher. Monica aß einen Apfel. Es war zwischen sechs und sieben an einem warmen Sonntagabend. Monica zeigte mit dem abgebissenen Apfel auf den Fernsehschirm.
»Sieh dir diesen Quatsch an!« sagte sie. »Du kannst mir nicht im Ernst einreden, daß dir das etwas sagt.«
Es war eine religiöse Sendung über eine Pop-Oper in einer Kirche in Hampstead. Thema der Oper war die Kreuzigung.
»Pop-Gruppen auf der Kanzel«, sagte sie. »So weit ist es schon gekommen.«
Er antwortete nicht. Die Sendung erschien ihm irgendwie obszön. Er konnte darüber nicht mit ihr streiten.
»Der Leichnam Gottes fängt jetzt wirklich an zu faulen«, lästerte sie. »Pfui! Was für ein Gestank!«
»Dann schalt's halt ab…!«
»Wie heißt die Pop-Gruppe? Die Maden?«
»Sehr witzig. Ich werde ausschalten, soll ich?«
»Nein, ich will es mir ansehen. Es ist spaßig.«
»Oh, schalt aus!«
»Imitatio Christi!« schnaufte sie. »Es ist eine üble Karikatur.«
Ein Negersänger, der Christus darstellte und mit tiefer Stimme zu einer banalen Begleitung sang, begann leblose Verse über die Bruderschaft aller Menschen herunterzuleiern.
»Wenn er so etwas von sich gab, ist es kein Wunder, daß sie ihn ans Kreuz nagelten«, sagte Monica.
Er streckte den Arm aus und schaltete das Bild aus.
»Mir machte es Spaß«, sagte sie mit gespielter Enttäuschung. »Es war ein wundervoller Schwanengesang.«
Später sagte sie mit einer Spur Liebe, die ihn beunruhigte: »Du altmodischer Schwärmer. Was für ein Jammer! Du hättest ein John Wesley oder Calvin oder so einer sein können. In unseren Tagen kannst du kein Messias sein, nicht nach deiner Vorstellung. Es gibt niemanden, der dir zuhören würde.«
17
Der Prophet wohnte im Haus eines Mannes, der Simon hieß, den der Prophet jedoch lieber Petrus nannte. Simon war dem Propheten dankbar, weil er seine Frau von einem Leiden geheilt hatte, das sie eine Zeitlang geplagt hatte. Es war eine mysteriöse Krankheit gewesen, aber der Prophet hatte sie fast mühelos geheilt.
Es waren zu dieser Zeit sehr viel Fremde in Kapernaum, von denen viele gekommen waren, den Propheten zu sehen. Simon warnte ihn, daß manche von ihnen bekannte Spitzel der Römer oder der Pharisäer seien. Viele der Pharisäer standen dem Propheten im großen und ganzen nicht ablehnend gegenüber, mißtrauten aber dem Gerede von Wundern, das ihnen zu Ohren gekommen war. Aber die ganze politische Atmosphäre war gestört, und die römischen Besatzungstruppen, von Pilatus über seine Offiziere bis hinunter zu den einfachen Soldaten, waren nervös und erwarteten einen Ausbruch, konnten aber keine greifbaren Anzeichen dafür erkennen.
Pilatus, ein ungewöhnlich mäßiger Mann, goß Wasser in das kleine bißchen Wein auf dem Boden seines Bechers und überlegte seine Lage.
Er hoffte auf Unruhen größeren Ausmaßes.
Wenn irgendeine Rebellenbande, wie etwa die Zeloten, Jerusalem angriffen, würde das Tiberius beweisen, daß er, ganz gegen den Rat von Pilatus, in der Sache mit den Votivtafeln viel zu milde gegen die Juden gewesen war.
Pilatus wäre gerechtfertigt und bekäme mehr Macht über die Juden. Vielleicht könnte er dann in der Politik
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