INRI
Er muß sterben. Es gibt keine Hoffnung für ihn.«
Der Essener sah verständnislos in die irren Augen des Propheten.
»Aber, Meister, es gibt sonst keinen, der ihm helfen könnte.«
»Es darf ihm nicht geholfen werden. Er muß sterben.«
»Er sagte mir, wenn du dich zunächst weigertest, sollte ich dir sagen, du habest ihn einmal im Stich gelassen, du solltest ihn jetzt nicht im Stich lassen.«
»Ich lasse ihn nicht im Stich. Ich bin dabei, mein Versagen wiedergutzumachen. Ich habe alles getan, was ich zu tun hatte. Ich habe die Kranken geheilt und den Armen gepredigt.«
»Ich wußte nicht, daß er das wollte. Jetzt braucht er Hilfe, Meister. Du könntest sein Leben retten. Du hast Macht, und die Leute hören auf dein Wort. Herodes könnte dich nicht abweisen.«
Der Prophet zog den Essener von den Zwölfen weg.
»Sein Leben kann nicht gerettet werden.«
»Ist es Gottes Wille?«
Der Prophet machte eine Pause und sah zu Boden.
»Johannes muß sterben.«
»Meister - ist es Gottes Wille?«
Der Prophet schaute auf und sagte feierlich: »Wenn ich Gott bin, dann ist es Gottes Wille.«
Seiner Hoffnung beraubt, wandte sich der Essener ab und verließ den Propheten.
Der Prophet seufzte. Er erinnerte sich an den Täufer und daran, wie gern er ihn gemocht hatte. Ohne Zweifel war es in erster Linie Johannes zu verdanken, daß ihm das Leben gerettet wurde. Aber er konnte nichts tun. Johannes dem Täufer war der Tod bestimmt.
Er zog mit seinem Gefolge weiter durch Galiläa. Außer seinen zwölf Männern folgten ihm hauptsächlich arme Leute. Sie setzten in ihn ihre einzige Hoffnung auf ein besseres Leben. Viele gehörten zu denen, die bereit gewesen wären, mit Johannes gegen die Römer loszuschlagen. Aber jetzt war Johannes eingesperrt.
Vielleicht würde dieser Mann ihr Führer in einem Aufstand, bei dem sie die Reichtümer Jerusalems, Jerichos und Cäsareas plündern könnten.
Müde und hungrig, mit glasigen Augen von der Sonnenhitze, folgten sie dem Mann in dem weißen Gewand. Sie brauchten Hoffnung, und sie fanden Grund zur Hoffnung. Sie sahen, wie er größere Wunder wirkte.
Einmal predigte er von einem Boot aus zu ihnen, wie er das oft tat, und als er durch das seichte Wasser zum Ufer zurückschritt, sah es aus, als liefe er auf dem Wasser.
Durch ganz Galiläa wanderten sie in jenem Herbst und hörten überall die Nachricht von der Enthauptung des Johannes. Die Verzweiflung über den Tod des Täufers schlug um, und sie setzten um so mehr Hoffnung in diesen neuen Propheten, der ihn gekannt hatte.
In Cäsarea wurden sie von römischen Wachen aus der Stadt gejagt. Sie waren an die Wilden mit ihren Weissagungen gewöhnt, die in den ländlichen Gegenden umherzogen.
Aus anderen Städten wurden sie verbannt, als der Ruf des Propheten wuchs. Nicht nur die römischen Behörden, auch die jüdischen schienen den neuen Propheten nicht so dulden zu wollen, wie sie Johannes geduldet hatten. Das politische Klima veränderte sich.
Es wurde schwierig, Nahrung zu bekommen. Sie lebten von dem, was sie unterwegs fanden, und hungerten wie abgezehrte Tiere.
Karl Glogauer, Zauberdoktor, Psychiater, Hypnotiseur, Messias, lehrte sie, in ihrer Einbildung zu essen und ihre Gedanken vom Hunger abzulenken.
Da traten die Pharisäer und Sadduzäer zu ihm; die versuchten ihn und forderten, daß er sie ein Zeichen vom Himmel sehen ließe. Aber er antwortete und sprach: Des Abends sprecht ihr: Es wird ein schöner Tag werden, denn der Himmel ist rot; und des Morgens sprecht ihr: Es wird heute Ungewitter sein, denn der Himmel ist rot und trübe. Ihr Heuchler! Über des Himmels Gestalt könnt ihr urteilen; könnt ihr denn nicht auch über die Zeichen dieser Zeit urteilen?
Matthäus 16, 1-3
»Du mußt vorsichtiger sein. Man wird dich steinigen. Man wird dich töten.«
»Man wird mich nicht steinigen.«
»So will es das Gesetz.«
»Es ist nicht mein Schicksal.«
»Hast du keine Angst vor dem Tode?«
»Es ist nicht die größte meiner Ängste.«
Ich habe Angst vor meinem eigenen Geist. Ich fürchte, der Traum könnte enden. Ich fürchte… Aber ich bin jetzt nicht einsam.
Manchmal zweifelte er an seiner selbstgewählten Rolle, und seine Gefolgschaft wurde verwirrt, wenn er sich widersprach.
Sie nannten ihn jetzt oft bei dem Namen, den sie gehört hatten: Jesus der Nazarener.
Meistens verwehrte er ihnen nicht, diesen Namen zu gebrauchen, aber in manchen Fällen wurde er zornig und schrie merkwürdige gutturale Worte.
»Karl
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