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INRI

INRI

Titel: INRI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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wirklich einiges durchsetzen. Gegenwärtig hatte er ein schlechtes Verhältnis zu allen Tetrarchen der Provinzen - besonders zu dem wankelmütigen Herodes Antipas, in dem er einst seinen einzigen Parteigänger gesehen hatte.
    Abgesehen von der politischen Lage, war auch seine häusliche Situation nicht in Ordnung, weil seine neurotische Frau wieder ihre Alpträume hatte und weit mehr Beachtung forderte, als er ihr geben konnte.
    Es könnte sich eine Möglichkeit ergeben, dachte er, einen Zwischenfall zu provozieren, aber er müßte sehr aufpassen, daß Tiberius das nie erführe.
    Er überlegte sich, ob dieser neue Prophet einen Ansatzpunkt bieten könnte. Bis dahin hatte sich der Mann als ziemliche Enttäuschung erwiesen. Er hatte nicht gegen die Gesetze der Juden und auch nicht gegen die der Römer verstoßen, obgleich er ein wenig scharf gegen das etablierte Priestertum redete. Doch das regte niemanden auf - es war allgemein üblich, die Priester zu attackieren. Die Priester selbst waren meistens zu bequem, den Attacken viel Aufmerksamkeit zu schenken. Es gab kein Gesetz, das es einem Mann verbot, sich als Messias auszugeben, was dieser Mann angeblich getan hatte. Und man konnte in diesem Stadium kaum sagen, er stachelte das Volk zu einer Revolte an - eher das Gegenteil. Man konnte auch einen Mann nicht verhaften, nur weil einige seiner Anhänger ehemalige Anhänger Johannes des Täufers waren. Die ganze Sache mit dem Täufer war falsch angefaßt worden, als Herodes die Nerven verloren hatte.
    Vor dem Fenster in seiner Kammer, die Minarette und Türme Jerusalems im Blickfeld, überdachte Pilatus die Informationen, die seine Spitzel ihm in letzter Zeit gebracht hatten.
    Bald nach dem Fest, das die Römer Saturnalien nannten, verließen der Prophet und seine Anhänger Kapernaum wieder und begannen durch das Land zu ziehen.
    Jetzt, da das heiße Wetter vorbei war, wirkte der Prophet wenige Wunder, aber seine Prophezeiungen wurden begierig aufgenommen.
    Er warnte sie vor all den Fehlern, die in der Zukunft begangen werden würden, und vor allen den Verbrechen, die in seinem Namen verübt werden würden, und er bat sie nachzudenken, bevor sie in seinem Namen handelten.
    Er wanderte durch Galiläa und durch Samaria, folgte den guten römischen Straßen in Richtung auf Jerusalem.
    Die Zeit bis zum Passahfest war jetzt nicht mehr lang.
    Ich habe alles getan, was mir eingefallen ist. Ich habe Wunder gewirkt, ich habe gepredigt, ich habe meine Jünger ausgewählt. Aber all das war leicht, weil ich das war, wonach die Menschen verlangten. Ich bin ihre Schöpfung.
    Habe ich genug getan? Ist der Kurs, den ich eingeschlagen habe, unabänderlich?
    Wir werden es bald wissen.
    In Jerusalem sprachen die römischen Beamten über das kommende Fest. Es war immer eine Zeit der schlimmsten Unruhe. Es hatte beim Passahfest schon früher Tumulte gegeben, und zweifellos würde es auch dieses Jahr wieder irgendwelchen Ärger geben.
    Pilatus bat die Pharisäer zu sich. Als sie kamen, sprach er so freundlich und einnehmend wie möglich zu ihnen und bat sie um ihre Mithilfe.
    Die Pharisäer sagten, sie wollten ihr möglichstes tun, könnten aber nichts dafür, wenn die Leute unvernünftig handelten.
    Pilatus war zufrieden. Andere hatten jetzt gesehen, daß er Unruhen abzuwenden versucht hatte. Sollte es jetzt welche geben, könnte man ihm nicht die Schuld zuschieben.
    »Sehen Sie«, fragte er die anderen Beamten, »was kann man mit ihnen anfangen?«
    »Wir werden schnellstens so viele Soldaten wie möglich in Jerusalem zusammenziehen«, sagte sein Stellvertreter. »Aber sie sind draußen im Lande schon jetzt recht dünn gesät.«
    »Wir müssen unser Bestes tun«, sagte Pilatus.
    Als sie gegangen waren, ließ Pilatus seine Spitzel rufen. Sie sagten ihm, daß der neue Prophet unterwegs sei.
    Pilatus rieb sich das Kinn.
    »Er erscheint mir recht harmlos«, sagte einer der Männer.
    »Er mag vielleicht jetzt harmlos sein«, sagte Pilatus, »aber wenn er während des Passahfestes nach Jerusalem kommt, ist er vielleicht nicht mehr so harmlos.«
    Zwei Wochen vor dem Passahfest erreichte der Prophet die Stadt Bethanien bei Jerusalem. Einige seiner galiläischen Anhänger hatten Bekannte in Bethanien, und diese waren nur zu gern bereit, dem Mann Obdach zu geben, von dem sie von anderen Pilgern gehört hatten, die nach Jerusalem und zum Großen Tempel unterwegs waren.
    Nach Bethanien waren sie gekommen, weil es den Propheten beunruhigte, daß ihm so

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