INRI
aber er wies die Frage immer schnell von sich, denn solche Fragen verwirrten ihn, erschienen ihm wie Fallen, eine Ausflucht und die Möglichkeit, sich wieder einmal selbst zu betrügen.
So sprach er also in den Synagogen. Er sprach von einem milderen Gott als andere vor ihm, und soweit er sich an sie erinnern konnte, erzählte er ihnen Gleichnisse.
Und nach und nach schwand das Bedürfnis, sein Tun verstandesmäßig zu rechtfertigen, und sein Identitätsgefühl wurde immer schwächer und durch ein anderes ersetzt, in dem die Rolle, die er gewählt hatte, immer mehr Gewicht erhielt. Es war eine in jeder Beziehung archetypische Rolle, eine Rolle, die einem Schüler Jungs liegen mußte. Es war eine Rolle, die über eine bloße Nachahmung hinausging. Es war eine Rolle, die er jetzt bis ins kleinste Detail durchspielen mußte.
Karl Glogauer hatte die Wirklichkeit gefunden, nach der er gesucht hatte. Das hieß jedoch nicht, daß er nicht immer noch Zweifel hatte.
Und es war ein Mensch in der Schule, besessen mit einem unsauberen Teufel; der schrie laut und sprach: Halt, was haben wir mit dir zu schaffen, Jesus von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu verderben. Ich weiß, wer du bist: Verstumme und fahre aus von ihm! Und der Teufel warf ihn mitten unter sie und fuhr von ihm aus und tat ihm keinen Schaden. Und es kam eine Furcht über sie alle, und sie redeten miteinander und sprachen: Was ist das für ein Ding? Er gebietet mit Macht und Gewalt den unsaubern Geistern, und sie fahren aus. Und er erscholl sein Gerücht in alle Örter des umliegenden Landes.
Lukas 4, 33-37
16
Aber ich weiß, daß mein Erlöser lebt; und als der letzte wird er über dem Staube sich erheben.
Hiob 19, 25
O felix culpa, qua talem ac tantum meruit habere Redemp-torem.
Missale - Karsamstag.
»Massenhalluzinationen. Wunder, Fliegende Untertassen, Geister, das Tier aus dem Es, das ist alles dasselbe«, hatte Monica gesagt.
»Sehr wahrscheinlich«, hatte er geantwortet. »Aber warum sahen sie ihn?«
»Weil sie ihn sehen wollten.«
»Warum wollten sie es?«
»Weil sie Angst hatten.«
»Du meinst, mehr ist da nicht dran?«
»Genügt es nicht?«
Als er Kapernaum das erstemal verließ, folgten ihm viel mehr Menschen.
Es war nicht mehr möglich gewesen, in der Stadt zu bleiben, denn die Geschäfte waren fast zum Erliegen gekommen durch die Menschenmassen, die gekommen waren, um ihn seine einfachen Wunder wirken zu sehen.
Also sprach er außerhalb der Städte zu ihnen, von Berghängen und Flußufern aus.
Er sprach mit klugen, belesenen Männern, mit denen ihn etwas zu verbinden schien. Darunter waren die Besitzer von Fischereiflotten - Simon, Jakobus und Johannes und andere. Ein anderer war Arzt, einer ein Beamter, der ihn in Kapernaum zum erstenmal reden gehört hatte.
»Es müssen zwölf sein«, sagte er eines Tages zu ihnen und lächelte. »Es muß ein Zodiakus sein.«
Und er wählte sie nach ihren Namen aus. »Ist hier ein Mann, der Petrus heißt? Ist einer hier, der Judas heißt?«
Und als er sie gewählt hatte, bat er die anderen wegzugehen, weil er eine Weile mit den Zwölfen allein sprechen wollte.
Es muß so genau sein, wie ich es noch in Erinnerung habe. Es wird Schwierigkeiten geben, Widersprüche, aber ich muß wenigstens das Gerüst liefern.
Er nahm kein Blatt vor den Mund, bemerkten die Leute. Er war bei seinen Attacken und mit seinen Beispielen sogar noch deutlicher als Johannes der Täufer. Nur wenige Propheten waren so mutig; wenige strahlten soviel Zuversicht aus.
Viele seiner Gedanken waren sonderbar. Viele der Dinge, über die er sprach, waren ihnen fremd. Manche Pharisäer hielten ihn für einen Gotteslästerer.
Gelegentlich versuchte jemand ihn zu warnen, schlug ihm vor, er solle um seiner Sache willen manche seiner Aussagen modifizieren, aber er lächelte nur und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich muß sagen, was ich sagen muß. Es ist so beschlossen.«
Eines Tages traf er einen Mann, in dem er einen der Essener aus der Kolonie bei Machärus wiedererkannte.
»Johannes möchte mit dir sprechen«, sagte der Essener.
»Ist Johannes noch nicht tot?« fragte er den Mann.
»Er wird in Peräa festgehalten. Ich glaube, Herodes traut sich nicht, ihn zu töten. Er läßt Johannes im Garten seines Palastes Spazierengehen, läßt ihn mit seinen Männern sprechen, aber Johannes fürchtet, daß Herodes bald den Mut finden wird, ihn steinigen oder enthaupten zu lassen. Er braucht deine Hilfe.«
»Wie kann ich ihm helfen?
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