Ins dunkle Herz Afrikas
Regenvorhang.
292
»Wir sollten auch am besten gehen, es wird gleich dunkel«, warnte Ron, »wenn Isabella zurück ist, gehst du, Susi, und dann Henri.« »Allein?« Susis Stimme kletterte die Tonleiter hoch. »Kannst du nicht mal allein pinkeln?« Isabella kam zurück in die Hütte gekrochen. Wasser lief an ihr herunter, als wäre sie aus dem Schwimmbad gestiegen. »Waschlappen!« »Los, Susi, jetzt bist du dran.«
Ron gab ihr einen Schubs. »Ich muss doch gar nicht«, quietschte sie.
»Willst du in der Nacht raus? Hier gibt es keine Straßenlaternen«, Ron wurde jetzt auch ungeduldig, »und da draußen sind massenweise Schlangen, und die sind alle ziemlich unfreundlich!« »Bitte, bitte, Henrietta, komm mit«, bettelte Susi herzerweichend, »ich reiß mich ab jetzt auch zusammen.
Versprochen!« Sie ließ sich erweichen. Der Regen empfing sie in einem Schwall, warm, angenehm wie eine Dusche, durchnässte sie bis auf die Haut, lief in ihre leichten Stiefel. Die Oberfläche des hart gebackenen Bodens war bereits aufgeweicht, der Schlamm stand knöcheltief. Susi, barfuß, stakste wie ein Storch durch den Matsch, leise Ekelschreie ausstoßend.
Henrietta zog sich die klatschnassen Jeans herunter, stellte ihre Füße auf die von Susi beschriebenen, mittlerweile vom Regen rutschig gewordenen Äste und ging in die Knie. Es war eine äußerst wackelige Stellung. Sie setzte sich neben das Loch.
Der Regen wusch sofort alles weg, spülte es den sanft geneigten Hang hinunter, dorthin, wo die Gemüsefelder der Familie lagen. »Praktische Angelegenheit, automatische Düngung«, bemerkte sie lakonisch und zog die Jeans wieder hoch.
Nach ihnen verschwand Ron. Er blieb länger als notwendig. »Unmöglich, hier herauszukommen«, berichtete er, als er triefend nass zurückkehrte, »der Ausgang ist mit Dornen blockiert.« In seinen Händen hatte er Matsch hereingebracht und damit Susis Erbrochenes zugedeckt. Die lehmverputzte Wand, erwärmt von der Tageshitze, heizte die feuchte Luft noch weiter auf. Sie legte sich als nasses, erstickendes Handtuch über sie, trieb ihr den Schweiß aus den Poren
293
und machte ihren Durst unerträglich. Wolken von Moskitos umsirr-ten sie, Fliegen krochen ihr in die Augenwinkel, die Ohren und zwischen die Lippen.
Susi wischte sich die Fliegen vom Mund. »Ich hasse es, ich hasse es, ich hasse es«, sagte sie, mehr zu sich selbst, »außerdem sterbe ich vor Durst.«
Automatisch übersetzte Henrietta, und Ron ging zum Ausgang, fing etwas Regen in der hohlen Hand auf und ließ Susi trinken. Wie ein Kätzchen schleckte sie das Wasser auf. Sie beobachtete, wie sich Rons Gesichtsausdruck veränderte. Er wurde weich, ein versonnenes Lächeln spielte um seine Lippen, mit zärtlicher Stimme murmelte er ein paar Worte, wie ein liebender Vater. Oder einer, der gerade seine Liebe zu einer Frau entdeckte. Susi hob ihre schönen Augen. »Das war gut«, flüsterte sie in holprigem Englisch, »ich glaube, ich werde jetzt richtig Englisch lernen«, setzte sie auf Deutsch hinzu, schmiegte sich fest in Rons Arme. Gleich fängt sie an zu schnurren und rollt sich auf den Rücken, dachte Henrietta missmutig. Ihr Kopf schmerzte, und sie machte sich mehr Sorgen um ihr linkes Auge, als sie vor sich selbst zugeben mochte.
»Weswegen bist du eigentlich hier, Susi?«, fragte Isabella. »Ich habe selten jemanden gesehen, der so völlig ungeeignet für Afrika ist. Weswegen bist du nicht an die Cöte d'Azur oder so gefahren?« »Das war wegen des Turms -
außerdem ist es im Winter lausig kalt an der Cöte d'Azur.«
Isabella lachte ungläubig. »Diese Geschichte stimmt wirklich? Du bist tatsächlich nach einem Krach mit deinem Alten in ein Flugzeug gestiegen, um hier auf irgendeinem Berg heramzuklettern? Ich dachte, du wärst besoffen, als du das bei Tita erzählt hast.« »Der Turm hat eine besondere Bedeutung. Es ist schließlich nicht irgendein Turm. Außerdem saufe ich nicht, ich trinke höchstens gelegentlich ein Glas Wein«, stellte Susi pikiert richtig. Henrietta dachte an ihren Cognackonsum im Flugzeug und schwieg diplomatisch. »Ach ja«, Isabella verdrehte die Augen, »stimmt, da war noch diese 294
schwachsinnige Geschichte, dass du als Kind von irgendeinem Turm gehüpft bist und jetzt deswegen auf einen Berg klettern musst. Du hast doch einen Knall, Susi.«
Susi stiegen die Tränen in die Augen. »Du bist gemein, lass mich doch in Frieden ...« Sie schluchzte auf, und Ron zog sie mit einem stirnrunzelnden
Weitere Kostenlose Bücher