Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Gercke
Vom Netzwerk:
Weile stand er auf. »Nun kann ich meinen Sohn zur Ruhe legen«, sagte er und ging, ein wenig unsicher, ein alter Mann.
    Er wandte sich noch einmal um, sah lan gerade in die Augen. »Verlassen Sie dieses Land, Mr. Cargill, und kommen Sie nie wieder.« Er wollte sich entfernen.
    lan hielt ihn zurück. »Hattet ihr uns deshalb noch im Computer?« Er griff wieder nach ihrer Hand.
    »O nein«, antwortete der alte Polizist, »o nein, nicht nur deswegen.« Dann tauchte er in der Menge unter, ließ die beiden im Aufruhr ihrer Gefühle zurück.
    »Es tut mir so Leid, Liebling, oh, es tut mir so Leid«, flüsterte sie und meinte, es tut mir so Leid, dass du mit allem allein warst, es tut mir so Leid, dass ich dich so gequält habe.
    lan lehnte sich in seinem Stuhl zurück, atmete tief und regelmäßig. »Wir werden jetzt nicht darüber nachdenken«, sagte er mit fester Stimme, »hörst du?
    Wenn wir in Hamburg sind, werden wir darüber reden.« Aber ihre Hand, die er noch immer hielt, hatte er blutleer gequetscht. Und plötzlich meinte sie Worte aus einer fernen Vergangenheit zu
    l
    hören, aus ihren frühen Kindertagen. Wenn ich erst in Amerika bin, wenn ich endlich in Amerika bin, dann ... Nie hatte sie von Tante Lienau erfahren, was wäre, wenn sie endlich in Amerika sein würde. Es war Tante Lienau gewesen, erinnerte sie, erstaunt, dass der Name noch für sie greifbar war, Tante Lienau, die bei Großmutter unter dem Dach in dem kleinen Zimmer neben dem Wäscheboden hauste, das im Sommer so bullig heiß war, dass es einem den Atem nahm, und im Winter so kalt, dass Tante Lienaus Muckefuck manchmal gefror.
    Eiskaffee, lachte sie dann. Sie hatte ein lustiges Lachen, einmal rauf und wieder runter auf der Tonleiter. Selbst der Krieg hatte ihr ihren Humor nicht nehmen können.
    Nach Amerika kam sie nie. In der Morgendämmerung in den letzten Tagen des Spätsommers 1944 war sie, wie häufig im Morgengrauen, Champignons sammeln gegangen und hatte wohl nicht richtig gesehen, denn eigentlich war sie eine Pilzkennerin. Sie legte sie, wie immer, zum Trocknen aus, als Vorrat für den kargen Winter. Man fand sie eine Woche vor Ende des Krieges, sie musste schon einige Zeit dort gelegen haben, denn ihre Haut war von dem steten Luftzug in dem Verschlag getrocknet und sah aus wie die Haut ihrer getrockneten Champignons.
    So wie sie das Wort »Amerika« ausgesprochen hatte, betonte lan jetzt das Wort
    »Hamburg«.
    Es kann nichts mehr geschehen, sagte sie sich, es darf einfach nichts mehr geschehen! Und doch war ihr nicht möglich, weiter zu denken als bis zu dem Moment, in dem sie die Sperre am Flughafen passieren würden. Die Zeit danach erschien ihr wie ein leerer Raum. Nur dieses Zeitfragment existierte. Ihre Pässe würden ihnen aus der Hand genommen werden, und der Grenzbeamte würde wie eine Maschine die Nummern in den Computer eingeben, stutzen, lesen und dann sie beide ansehen. Die Sekunden, die dann diesem Moment folgen würden, dieser Augenblick, der jetzt unaufhaltsam und unwiderruflich auf sie zukam, würde wie ein feiner, singender, ganz und gar unerträglicher Schmerz sein. Sie hoffte, ihm standhalten zu können.
    «
    390
    391
    Sonst hatte sie sich immer auf ihre Beherrschung verlassen können, aber Afrika hatte ihre Schutzmauer durchlöchert. Wie unseren alten afrikanischen Tulpenbaum, den Termiten aushöhlten, dachte sie. Unbemerkt hatten die Insekten sich durch das Holz des riesigen Baumes gefressen, bis er während eines Sturmes in sich zusammenbrach und umstürzte, ein Baum, dessen Stamm fast zwei Meter Umfang hatte.
    So war Afrika.
    Eine Ansage hallte durch das Flughafengebäude, holte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie lauschte. Alles, was sie verstand, war »Johannesburg«. »Das ist ja merkwürdig, ist unser Flug vorgezogen? Oder weswegen rufen sie ihn aus? Hast du es verstanden?« Die Buchstaben ratterten auf der Anzeigetafel. Als sie einer nach dem anderen an ihren Platz fielen, konnte sie es sehen.
    »Johannesburg cancelled«, las sie laut und verstand erst Augenblicke später, was da stand. »Die haben den Flug gestrichen, lan - sieh nur, um Himmels willen, was nun?«
    »Mach dir keine Sorgen, dann fliegen wir mit dem nächsten, wir haben genug Zeit, das weißt du. Sie werden uns bestimmt auf die nächste Maschine umgebucht haben.« Das war wieder lan, ihr Fels in der Brandung. Doch am Schalter erfuhren sie, dass das nicht der Fall war. »Tut uns Leid, Mr. Cargill, wir haben technische Schwierigkeiten. Wir

Weitere Kostenlose Bücher