Ins dunkle Herz Afrikas
dieses frühen Morgens. War sie vorher ein müdes Graugrün gewesen oder ein neutrales Braun, schimmerte sie jetzt in einem lichten Goldgelb. Auch der Geräuschpegel hatte sich verändert.
Kaum jemand hatte vorher mit seinem Nachbarn geredet, jeder war mit sich beschäftigt, jetzt hatten sich Grüppchen gefunden, man lächelte sich an, vertiefte sich in lebhafte Unterhaltung, während die ersten Gepäckstücke auf das Förderband plumpsten.
Als umgäbe sie eine besondere Aura, riefen sie die erstaunlichsten Reaktionen bei ihren Mitmenschen hervor. Die junge Frau am Ticketschalter, ebenholzfarben und sehr kompetent, schenkte ihnen ein sehnsüchtiges Lächern, als lan ihr die Tickets reichte. »Ich gebe Ihnen die zwei Plätze neben dem Notausgang - da sitzen Sie ganz allein ... Sie sind doch frisch verheiratet, nicht wahr? - Sie wirken so glücklich!« Auch die Verkäuferin am Juicy-Lucy-Stand, eine Grauhaarige mit
Eulenbrille und mütterlicher Figur, sah sie verträumt an, während sie den Guavensaft ins Glas und dann überlaufen ließ. »In den Flitterwochen, was?
Werdet glücklich, Kinder!«, seufzte sie. »Mein Gott, so romantisch und noch in eurem Alter.«
Henrietta war völlig durcheinander. Lachend, aber in Tränen aufgelöst, hatte sie sich ihren Weg durch die Sicherheitskontrolle gebahnt, hätte jeden Menschen umarmen und küssen können, trank nun glücklich den Guavensaft, und die Tränen strömten ihr dabei über das Gesicht, sie schluchzte mit strahlenden Augen, während sie im klaren Licht des Hochlandmorgens über Transvaals verbranntes Grasland flogen, das Gelb des verdorrten Grases, den fliederfarbenen Dunst der Ferne, das Rot der Erde Afrikas, durch ihren Tränenschleier verwischt zu sanft schimmernden Farben, und sie weinte hemmungslos, als die ersten saftig grünen Hügel Natals aus dem Licht auftauchten.
Sie fühlte die Wärme seiner Hand auf ihrem Nacken. »Ich beneide dich darum, dass nach allem, was dir dieses Land zugefügt hat, deine Seele intakt geblieben ist«, hörte sie ihn leise sagen, hörte das Erstaunen in seiner Stimme und wusste, dass er sein Schutzschild noch nicht endgültig beiseite gelegt hatte. Noch nicht. Der Jet landete, rollte aus, und durch die geöffnete Tür strömte das hellste Licht, das sie meinte je gesehen zu haben. Sie nahm lans Hand und trat hinaus.
Es war eigentlich mehr, als sie jetzt schon ertragen konnte, alles auf einmal.
Afrika. Der köstliche Duft von Frangipani und reifen Früchten, nach Teer und feuchtem Holz, das Salz des nahen Ozeans, das sich auf ihre Lippen legte, die Sonne, die ihr Blut zum Singen brachte, die Musik der schwarzen Stimmen, die sanfte Wärme der Luft, weich und zärtlich auf ihrer Haut. Und lans Hand fest in ihrer. Nur einmal war ihr Ähnliches widerfahren. Als sie die Nachricht erhielt, dass der Knoten in ihrem Hals gutartig sei, dass das Tor des Lebens wieder weit offen stand. »Wird es jetzt immer so ein?«, fragte sie. Er atmete tief ein, füllte seine Lungen. Die Mittagssonne flimmerte 498
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und glitzerte, die Linie zwischen Himmel und Erde zerfloss vor ihren Augen in Licht. »Ja«, antwortete er, »ja, denn sieh mal, es gibt keinen Horizont heute.
Wir können in die Ewigkeit blicken.« Sie standen noch immer oben auf der Gangway, ihre Mitreisenden drängten an ihnen vorbei. Endlich ließen auch sie sich mittragen. Kurz darauf, Koffer zu einem Turm gestapelt, schoben sie den Gepäckkarren auf die breite, weit offene Tür der Ankunftshalle zu, deren Ausgänge hinaus auf die Straße ebenfalls offen standen. Sonne flutete herein, machte die Gruppe, die ihnen entgegenkam, zu Scherenschnitten.
Alle waren gekommen. Julia im Rollstuhl, einen Gipsverband bis zum Knie und ein strahlendes Lächeln über einem enormen Bauch, blühend schön in einem sonnengelben Umstandskleid, neben ihr Karsten mit Olivia auf dem Arm. Tita stand da mit Neil, sogar Sa-mantha, mit Nino an der Hand und einem Achtmonatsbauch. Im Hintergrund, etwas abseits, entdeckte sie die massige Gestalt von Vilikazi und daneben Sarah, fremd in einem dunkelblauen Kostüm.
Alle winkten und riefen ihre Namen.
Sie blieb stehen. Es war die Szene aus ihrem Traum. »Oh, Liebling!« Sie bekam kein weiteres Wort heraus.
Da strampelte sich Olivia vom Arm ihres Vaters herunter und rannte auf ihre Großmutter zu. »Omami Henri - ich hab einen Hund gekriegt, einen ganz kleinen mit großen Ohren, Mami kriegt dafür ein Baby, damit sie nicht traurig ist!«, schrie sie und
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