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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Gercke
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in Kopf und Beine schoss.
    »Ups«, machte Henrietta und stieß auf, »ich glaub, ich hab einen sitzen.«
    »Ich auch.« Ingrid kicherte betrunken und befühlte ihre fülligen Brüste. »Ich kann ja vielleicht mit dem Chirurgen reden, vielleicht kann er aus eins zwei machen.«
    »Die machen da heute Wassersäckchen rein«, informierte sie Henrietta, »so wabbelige Plastiksäckchen voll mit Wasser.« »Und was passiert, wenn einer mal richtig dahin fasst und die Dinger platzen? Oje, stell dir das mal vor!« Ihr stürzten unvermittelt wieder die Tränen aus den Augen. »Scheiße!«, murmelte sie und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Später fuhr sie mit dem Taxi nach Hause, packte einen kleinen Koffer und kehrte zu Henrietta zurück. Sich fest an den Händen haltend, lagen sie auf dem Ehebett, und jede verbarg vor der anderen die Tränen, machte ihr vor, dass alles in Ordnung sei.
    Nächsten Morgen, nach einer Nacht, in der keine wirklich geschlafen hatte, zogen sie sich schweigend an, bedeckten ihre verquollenen Gesichter sorgfältig mit Make-up. Henrietta verzichtete aus Solidarität für Ingrid, die nüchtern bleiben musste, aufs Frühstück. Dann fuhren sie ins Krankenhaus.
    »Bist du da, wenn ich aufwache?« fragte Ingrid kläglich, schon im Operationshemdchen und schläfrig von der Beruhigungspille.
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    Sie hielten sich fest. »Mach's gut«, flüsterten sie im Schutz ihrer umeinander gelegten Arme, »wir schaffen es!«
    Dann wurde Ingrid hinausgerollt, und sie war allein. Sie hätte von einem Telefon im Krankenhaus aus anrufen können, aber das brachte sie nicht fertig.
    Sie brauchte dazu die Vertrautheit ihres Hauses.
    Für Minuten stand sie vor dem Telefon, starrte es an, brachte es nicht über sich, es zu berühren. Sie ging in die Küche, kochte sich mit automatischen Bewegungen einen Kaffee, trank ihn aber nicht. Dann stand sie wieder vor dem Telefon, lange, und plötzlich hielt sie es in der Hand, der Wählton erklang, und die Zeit stand still. »Alles in Ordnung, Frau Cargill, es ist gutartig«, waren die ersten Worte ihrer Internistin, die selbst Brustkrebs besiegt hatte und seitdem zuerst als Mensch und dann als Arztin handelte. Ein Sturzregen ging über Hamburg nieder, als sie diese Nachricht erhielt. Ohne Mantel und Schirm, nur in Jeans und leichtem Pullover, rannte sie hinaus, lief an der Elbe entlang, der Regen mischte sich mit ihren Tränen, wusch ihre Augen aus, und als die Sonne erschien, konnte sie wieder klar sehen. Sie sah schärfer, roch differenzierter, hörte genauer.
    Der süßlich schwere Juniduft spaltete sich auf in das tropische Aroma des Jasmins, der regenschwer über den Wegen hing, das des Heckenrosengrüns, der nassen Erde und dem würzigen Holzgeruch des geteerten Bootsanlegers, von dem aus sie der ölig fließenden Elbe nachsah, die an ihr vorbei ins Meer strömte.
    Kinderstimmen klangen ihr in den Ohren, das Gemurmel alter Männer auf den Parkbänken, schläfriges Schilpen der Spatzen in der Sonne und die hohen Schreie der dicht über dem Wasser Insekten jagenden Schwalben. Es waren Augenblicke von purem Genuss, einer unübertroffenen, nie erlebten Sinnlichkeit. Es waren die Augenblicke, in denen ihr ohne jeden Zweifel ein für alle Mal bewusst wurde, dass sie sterblich war und ihre Zeit endlich.
    Sie war rechtzeitig zurück, als Ingrid aufwachte. Fast zärtlich nahm sie deren Hand und legte sie auf die Brust, die unversehrt war bis auf 123
    den winzigen Schnitt unterhalb der Brustwarze, der von dem Eingriff zeugte.
    »Oh Gott, ich danke dir«, wisperte Ingrid, als ihr klar zu werden schien, dass alles gut war und das Leben vor ihr lag. »Und du?«, fragte sie, und es war deutlich, dass sie sich vor der Antwort fürchtete. Plötzlich packte es sie.
    »Nichts!«, schrie sie. »Nur ein dummer, kleiner Knubbel. Nichts - nichts -
    nichts! Ja!« Sie trillerte und wirbelte übermütig, bis eine Schwester hereinstürzte und besorgt nach einem Arzt rief. Als dieser mit einer Spritze anrückte, hielt sie inne. »Alles in Ordnung, Doktor«, keuchte sie. »Da, wo ich herkomme, drückt man so Freude und Erleichterung aus.«
    Gemeinsam kehrten sie in die Außenwelt zurück, doch das Gefühl der Nähe, der Vertrautheit verschwand schnell bei den alltäglichen Handlungen von Anziehen, Kofferpacken, Autotür aufschließen. Der Abstand einer oberflächlichen Freundschaft kehrte zurück. Sie fuhr Ingrid nach Hause.
    »Willst du noch auf einen Kaffee hereinkommen?«, fragte diese, sah dabei

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