Ins dunkle Herz Afrikas
klappte.
»Da kommt jemand.« Sie hob lauschend den Kopf. »Ich kann Schritte hören.« Im selben Moment klingelte es, und gleichzeitig flog die Eingangstür auf.
Sekunden später standen Julia und Jan im Wohnzimmer, rotwangig, übermütig ob ihrer gelungenen Überraschung. Julias türkise Augen blitzten, Schneeflocken schmolzen in ihren Haaren. »Ich kann euch doch nicht einfach so fahren lassen, ihr braucht noch einige Anweisungen! Wer weiß, was ihr sonst anstellt!« Sie warf sich ihrem Vater an den Hals. »Wir haben eine ganze Woche Zeit, unser Weihnachtsgeschenk. Über Weihnachten haben wir uns bei Freunden nach Österreich zum Skilaufen eingeladen. Sie haben sich uns armer Waisenkinder erbarmt.«
»Oh, ist das schön«, flüsterte Henrietta in Jans dunkelgrünem Pullover, und löschte das Bild des toten Wildhüters aus ihrem Gedächtnis.
Später saßen sie nach einem Besuch im Dorfkrug am Kamin. »Ich erinnere mich noch genau an unseren ersten Tag, als wir wieder nach Afrika zurückkehrten«, bemerkte Jan träumerisch. »Ich hasste es, ich hatte Heimweh nach Bayern und wollte Weihnachten im Schnee.« Er lachte. »Es dauerte genau bis zu dem Moment, als ich das Chamäleon fing!« Versonnen stocherte er im Kaminfeuer herum, dass die Funken stoben.
»Hör auf!«, befahl Julia. »Du sollst es den Eltern ausreden, nicht mit ihnen in der Vergangenheit schwelgen!«
Henriettas Stimmung sprudelte in diesen Tagen wie Sekt. »Wie blau ist das Meer, wie groß kann der Himmel sein .,.«, sang sie im Supermarkt, strahlte wildfremde Leute an und musste mühsam den Impuls unterdrücken, jeden Menschen mit schwarzer Haut zu fragen, was denn die Heimat so machte. Nicht einmal Herrn Kraskes Fichten konnten ihre überschießende Hochstimmung beeinträchtigen. Sie
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trieb beide Kraskes ins blanke Entsetzen, als sie laut und fröhlich grüßte-Sicherlich grübeln Kraskes jetzt tagelang darüber nach, welche Schandtat ich plane!«, lachte sie Julia zu, während sie auf einem ihrer Beutezüge durch die Boutiquen einen Bikini in Größe 38 anprobierte. »Meine Güte, sieht das furchtbar aus!« Entsetzt starrte sie in dem unsäglichen Licht der Umkleidekabine auf die Röllchen winterweißen Fleisches über der Bikinihose. »Als wir Südafrika verließen, hatte ich eine schmale achtunddreißiger Figur, liebte Etuikleider und knallenge Hosen. Nun sehe ich in achtunddreißig aus wie eine zum Platzen gefüllte Leberwurst!« »Was willst du eigentlich, du hast doch eine gute Figur ...« »Ich weiß, ich weiß«, unterbrach sie, »für mein Alter, wolltest du sagen. Ich kann es nicht mehr hören! Ich werde auf eine knackharte Diät gehen.« Grimmig bezahlte sie den Bikini. »Lass uns beim Italiener einen Espresso trinken.«
»Setz dich schon hin, ich muss noch in die Buchhandlung. Bestell mir einen Espresso und einen Eisbecher, mit viel Sahne«, grinste Julia gemein und verschwand mit einem kurzen Winken. Etwas geschafft von dem anstrengenden Einkaufstag, sank Henrietta in die blauen Polster des italienischen Eiscafes.
Draußen war es grau, Regenwasser rauschte über das gewölbte gläserne Dach des Alstertal-Einkaufszentrums, die Palme im Topf neben ihr trug die bräunliche Farbe, die zu wenig Licht, zu wenig Wasser, zu wenig Liebe in Pflanzen hervorruft. »Zwei Espresso, einen Eisbecher mit Sahne, einen Obstsalat«, diktierte sie dem jungen italienischen Kellner, »ohne Zucker.« Kritisch hob sie den sonnengelben Bikini aus der Einkaufstüte. Mit brauner Haut würde er gut aussehen! »Hallo, Frau Cargill!«, sagte eine männliche Stimme. Sie sah hoch. »Karsten!« Sie reichte dem hoch gewachsenen, jungen Mann im schwarzen Lederblouson die Hand. »Wie geht's denn so?« Ersten Kromberg war ein Freund Jans, der an der Hamburger Universität Maschinenbau studierte.
*Oh, mir geht's bestens, danke.« Er wischte sich die regennassen 165
blonden Haare aus der Stirn. Seine Stimme klang kraftlos, die klaren, blauen Augen wichen ihren aus.
Dunkle, bläulich schimmernde Ringe um die Augen, registrierte sie und die Fingernägel bis aufs Fleisch heruntergebissen. »Setz dich doch, leiste mir Gesellschaft.« Sie hatte immer einen guten Draht zu den Freunden der Zwillinge habt. Karsten zögerte nur kurz. »Danke, gern.«
»Wie geht es deinen Eltern? Arbeitet deine Mutter noch?« Sein Vater war als Berufsschullehrer wegen eines Rückenleidens vorzeitig in Pension gegangen, seine Mutter, die als Schneiderin arbeitete, hatte gelegentlich für
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