Ins dunkle Herz Afrikas
Das pfeifende Schreien kam aus der Dunkelheit von Kraskes Garten. »Jetzt ist's genug«, knirschte sie wütend, »Kraskes schlach-170
ten mal wieder ihre Karnickel. Ich geh jetzt da rüber. Es kann doch nicht sein, dass man einfach so Tiere umbringen kann!« »Das ist kein Kaninchen.« Er hielt sie zurück. »Das ist ein Mensch.« Er lief zum Zaun, spähte kurz in das Dunkel und kletterte, sich an einer der Fichten festhaltend, hinüber. »Es ist Frau Kraske. Schnell, ruf einen Krankenwagen und bring die Taschenlampe mit.«
Sie fanden Frau Kraske auf dem Gartenweg. Sie lag auf dem Bauch, Arme ausgestreckt, ihre rechte Hand umklammerte noch einen Plastikeimer, sein Inhalt, Salatblätter und Gemüsegrün, war überall verstreut. Aus dem schwarzen Loch, das ihr Mund war, drang noch immer dieses markerschütternde Geschrei, der mausgraue Pullover war verschoben, Träger und der Ansatz eines lila Spitzenbüstenhalters schnitten ins welke Fleisch.
Entgeistert versuchte sie den lila Spitzenbüstenhalter mit der huscheligen Frau Kraske in Verbindung zu bringen. Frau Kraskes knochige Hand kroch mühsam hoch, zupfte vergeblich an dem Pullover. Vorsichtig zog ihn Henrietta über die Schulter, ließ ihre Hand einen Moment dort ruhen. »Danke«, klang es dumpf.
»Danke«, lan kniete neben ihr. »Ich glaube, sie hat sich ein Bein gebrochen.
Komisch, es ist doch nicht glatt. - Ganz ruhig, Frau Kraske, wir holen einen Arzt. Was ist passiert?«
»Da ... war ... etwas ... auf dem Weg«, stieß sie hervor. »Dort.« Sie zeigte in Richtung ihrer Füße.
Sie folgten ihrem Blick. »Das Schwein«, flüsterte lan, »dieses perverse Schwein! Der Kerl hat einen Draht gespannt, hier sieh - dort ist ein Pfosten, da drüben noch einer. Das hat sie zum Stolpern gebracht.«
»Er hasst es, wenn ich tanze«, stammelte Frau Kraske. Danach biss sie ihre Zähne zusammen und sagte kein Wort mehr, auch nicht, als die Sanitäter sie auf die Trage hoben und ihr Mann, eben von seinem abendlichen Kneipenbesuch zurückkommend, die Träger anraunzte, nicht auf die Rosenbeete zu treten. Sie kniff ihre Augen zu, tat keinen Laut, und dann raste der Krankenwagen mit Blaulicht und Martinshorn in die Dunkelheit.
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Herr Kraske starrte lan aus glasigen Augen herausfordernd an. »Was glotzen Sie so? Geht Sie alles nichts an, Sie ... Sie ... Engländer!« Damit stapfte er, Schultern hochgezogen, Kopf vorgestreckt, ins Haus.
lan rief die Polizei, doch als sie eintraf, war nichts mehr von dem Draht zu sehen. Sie fanden keine Spuren. Unaufmerksam und gehetzt nahm einer von ihnen die Angaben der Cargills zu Protokoll. »Wir haben den Draht gesehen, meine Frau, Frau Kraske und ich.« Zweifelnd sah der Polizeibeamte sie an. »Frau Kraske sagt, dass sie über einen Stein gestolpert und dann gefallen sei.«
Henrietta schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht. Sie irrt sich, vielleicht hat sie eine Gehirnerschütterung und erinnerte sich nicht richtig. Sie hat sich im Fallen an einem Stein verletzt. Hier sehen Sie -hier liegt noch einer ihrer Schuhe, und dort«, sie zeigte auf den Stein, der fast eine Körperlänge weit entfernt lag, »da liegt der Stein. Sie kann nicht darüber gestolpert sein.« »Waren Sie dabei?«
»Verdammt!« brüllte lan los und tat einen Schritt nach vorn. > Der Polizist, ein junger Mann mit einem nervösen Tic am Auge, wich zurück, legte seine Hand auf den Pistolenknauf und musterte ihn aggressiv. »Reißen Sie sich zusammen!«
Hastig stellte sie sich vor ihren Mann. »Wir haben den Draht gesehen, wir haben ihn sogar berührt. Aber wenn Frau Kraske ihren Mann nicht anzeigen will, ist es ihre Sache. Gute Nacht, Wachtmeister.« Widerstrebend ließ sich lan von ihr ins Haus ziehen. Sie schaltete die Beleuchtung aus, der Garten lag wieder im Dunkel. Ein paar Tage später hörten sie, dass Frau Kraske den rechten Knöchel und die linke Hüfte gebrochen hatte. »Tanzen wird sie wohl nie wieder«, sagte Henrietta. »Diese arme Frau.«
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Freitag, den 22. Dezember 1989 -Flug nach Durban 22. Dezember passte Henrietta in ihren Bikini, ihre Haare leuchteten im schönsten Somrnerblond, das aus der Tube zu haben war, und sie hatte vor Aufregung nächtelang vorher kaum geschlafen.
Als Deutsche brauchten sie nicht einmal ein Visum für Südafrika, so einfach war das Reisen dorthin geworden. Der Lufthansaflug war völlig ausgebucht gewesen, aber sie hatten noch Plätze auf der British-Airways-Maschine bekommen, was den Vorteil hatte, dass sie nicht
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