Ins dunkle Herz Afrikas
weiterer Draht. »Wozu ist dieser Draht?«, fragte sie. »Das ist ein elektrischer«, antwortete Neil. Danach schwiegen sie, bis sie zu Hause waren.
Nach dem Mittagessen lagen sie faul unter den Palmen, die zwischen den Steinen der Terrasse gepflanzt waren. »Ich muss einen Verdauungsspaziergang machen«, murmelte Henrietta schläfrig. »Kommt ihr mit?«
»Wir könnten am Umhlanga Vögel beobachten«, schlug Neil vor. Sie beluden sich mit Kameras und Ferngläsern und kletterten in den Geländewagen.
Es war heiß und still im Tal des Umhlanga, iLalapalmen wuchsen am Ufer, das Ried stand hoch, die Halme bogen sich unter dem Gewicht der kunstvollen Nester der Webervögel. Insektenwolken tanzten über der Wasserfläche. Aufgescheucht stob ein Schwärm leuchtend schwarzroter Kardinalweber davon, umkreiste die Eindringlinge und landete mit schrillem Getschilpe wieder auf ihren Nestern.
Aus der Tiefe des Bambushains schössen blauschillernde Eisvögel mit leisem Platsch ins Wasser, tauchten in einem Tropfenregen, von den Strahlen der Sonne in funkelnde Edelsteine verwandelt, wieder auf, meist mit einem Fisch im langen Schnabel, den sie dann, auf dem Ast eines überhängenden Baumes sitzend, mit ruckartigen Bewegungen verschlangen. Tita beobachtete sie durch den Sucher ihrer Kamera mit dem starken Teleobjektiv.
Ein Hahnschweifwidah stieg am flachen Hang aus dem Gras auf, schüttelte sein tiefschwarzes Gefieder, wippte auf und nieder und spreizte die herrliche, gestufte Schwanzschleppe. Angeberisch sträubte der Vogel die Nackenfedern, plusterte sich auf vor seinem Weibchen, das zweifellos gut getarnt irgendwo zwischen den Hai-255
men saß, lockte es mit dem weißgesäumten orangeroten Schulterfleck.
»Ich weiß nicht, warum ich jetzt an Victor Ntombela denken muss«, amüsierte sich Henrietta, als sie den balzenden Vogel beobachtete, »den müssen wir unbedingt noch besuchen. Hoffendich stimmt seine Adresse noch.«
Auch Tita und Neu lachten, aber dann wurde Neu ernst. »Das würde ich nicht tun«, murmelte er, und sein Ton machte klar, dass er einen gewichtigen Grund für seinen Rat hatte.
»Warum nicht?« lan spähte weiter durchs Fernglas, das dem majestätischen Flug eines Kronenkranichs folgte. »Wäre keine gute Idee.«
lan senkte das Glas, sah seinen Freund von der Seite an. »Raus mit der Sprache, was ist los!«
»Victor möchte momentan nicht gefunden werden, und ihr habt euch eine Zecke angelacht.«
»Zecke?« Sie wusste nichts mit diesem Ausdruck anzufangen, doch lan schaltete sofort. »Wir werden verfolgt, beschattet.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Natürlich.«
Also doch! Der Mann mit den borstigen weißen Haaren, mit dem sie zusammengestoßen war? Den übermächtigen Impuls, sich umzudrehen, die stille Landschaft nach jemandem abzusuchen, der sie beobachtete, vermochte sie nicht zu unterdrücken. War es der Schatten dort, der schwärzer war als der lichte um ihn herum? Oder die Bewegung am Rand des Zuckerrohrfeldes, das an das Tal grenzte? Das kurze Aufblitzen von Sonnenlicht auf Metall, mindestens zweihundert Meter entfernt - stand dort das Fahrzeug des Agenten, oder wartete er oben an der Straße, der einzigen, die hinunter zum Fluss führte? Sie strich sich über den Arm, um die Gänsehaut zu glätten, die Neils Worte dort hervorgerufen hatten.
»Habt ihr einmal darüber nachgedacht, warum sie euch nicht einfach auf der Stelle mit dem nächsten Flugzeug zurückgeschickt haben?« Sie hob wie abwehrend ihre Hände. Nein, dachte sie, nein, darüber
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^vill ich nicht nachdenken. Zu ihren Füßen mühte sich ein Pillendreher, seine Mistkugel eine kleine Steigung hinaufzuwuchten, nicht wahrnehmend, dass auf der anderen Seite ein Wasserloch lauerte. Sie bückte sich, legte die Mistkugel auf ebenen Boden, setzte den strampelnden Käfer dazu, der flugs weiterdrehte, ohne zu wissen, welch tödlichem Schicksal er entgangen war.
lan, offensichtlich ahnend, was in ihr vorging, legte schützend den Arm um sie. Er machte deutlich, dass er die Berührung so sehr brauchte wie sie. Dann sah er Neil an. »Sie wollen sehen, wen wir besuchen, sie kennen unser damaliges Umfeld, hoffen vielleicht, dass wir sie auch zu Victor führen. Und sie wissen, dass du zu Victor Verbindung hast. Mit uns hat das nichts mehr zu tun - uns werfen sie am 5. Januar aus dem Land raus - sie wollen dich erwischen, Neil, sie wollen deine Kontakte herausbekommen«, antwortete er leise. »Wir sind wirklich naiv
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