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Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Finger nur noch blutige Stümpfe, ragte unter einem Leichentuch hervor. Eine weiße Hand.
    Die Kamera glitt über blaues Meer und blühende Bäume. Es musste ein schöner Frühsommertag sein in ihrem Natal, wo ihr Garten lag. Dort, wo ihre Seele wohnte. Die Sonne schien, ein paar Schwarze standen im lichten Schatten einer Jakaranda, unter ihnen eine Frau.
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    Sie lachte - gerade als die Kamera sie erfasste, lachte sie, und daruv verschmolz sie mit dem Baumschatten und war verschwunden. j; J Diese Frau lachte, während um sie herum Menschen schrien und starben. Sie lachte, wo sie Tränen des Mitgefühls erwartet hätte, denn unter den Verletzten hatte sie auch viele Schwarze gesehen. Den Kopf zurückgeworfen, lachte die Schwarze, und sie musste an Diana, die Göttin der Jagd, denken, die eine Beute erlegt hatte. Der tägliche Bericht von den Flüchdingsströmen aus der DDR über die Grenzen in die Tschechoslowakei folgte. Sie schaltete ab und spielte das Band zurück, fror das Lachen dieser Frau ein. Sie war nicht mehr jung, Mitte vierzig vielleicht, und Henrietta kannte sie.
    Mary Mkize, Cuba Mkizes Frau. Cuba Mkize war im Morgengrauen des 10. Januar 1967 als Terrorist gehenkt worden, und Mary, die in ihrer Strickfabrik in Mount Edgecombe als Putzfrau gearbeitet hatte, war Stunden, bevor die Staatssicherheitspolizei die Fabrik nach ihr durchsuchte, verschwunden.
    Und nun lachte Mary Mkize, die weißen Zähne blitzten in dem schwarzen Gesicht, und sie bekam eine Gänsehaut. Damals hatte sie nie gelacht, war wie ein Schatten durch die Fabrikationshalle der kleinen Modefirma gehuscht. Eine magere, verschlossene kleine Person, stets in einen blauen Hausmädchenkittel gekleidet, ihr Baby mit einem Tuch auf den Rücken gebunden, von der sie nie erfahren hatte, wie und wo sie lebte, bis die Agenten von BOSS es ihr gezeigt hatten.
    Mary und ihr Mann, der Terrorist, dem mehrere bestialische Morde zugeschrieben wurden, hatten unter ihrer Nase in einem Schuppen hinter der Fabrik gelebt, und sie hatte nichts bemerkt.
    Die Standuhr in der Diele schlug sechs, lan würde bald zu Hause sein. Zeit, Mary und die Bilder aus Natal hinter die Mauer zu verbannen, hinter der alles landete, was mit Südafrika zu tun hatte. Niemand wusste von dieser eingemauerten Welt, auch lan nicht. Vor allem lan nicht. Diese Welt war weit und in strahlend goldenes Licht
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    getaucht, so wie man sich das Paradies vorstellt, und es gab eine Tür.
    Unwiderstehlich wurde sie wie von einer magischen Kraft hineingezogen. Es geschah immer häufiger, dass sie durch diese Tür in ihre Welt der Gedanken und Erinnerungen schlüpfte, nicht nur in den frühen Morgenstunden, in denen sie fast immer stundenlang wach lag, sondern auch tagsüber.
    All ihre Freunde warteten dort auf sie. Tita, ihre liebste Freundin, vertrauter als eine Schwester, Tita mit den kupferroten Haaren, Tochter von Julius Kappenhofer, dem reichsten Mann Südafrikas, und Frau von Neu, dem aufrührerischen Journalisten. Sarah war da, Sarah, ihre Tochter Imbali, schmal, mit großen, brennenden Augen, eine leidenschaftliche Kämpferin für ihr Land, wie ihr Vater Vilikazi, der sein Leben riskierte, um lan im März 1968 in einer dramatischen Flucht vor den Agenten der Staatssicherheit auf Schleichpfaden über die Grenze nach Mosambik in Sicherheit zu bringen. Sarah, Imabali und Vilikazi Duma, ihre schwarze Familie. Sie fühlte Sarahs Arme um sich, fühlte ihren Herzschlag, kräftig, lebendig, wie die Trommeln ihres Volkes. »Udadewethu, meine Schwester«, hörte sie das Zuluwort, das weich war wie ein Streicheln. Willig ließ sie sich auch jetzt über die Schwelle ziehen, und schon fand sie sich in der Welt ihrer Erinnerungen wieder, berührten ihre Füße die warme Erde Afrikas, und sie vergaß Hamburg.
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    Die Jahre dazwischen -Afrika
    rLs war im Januar 1972, vier Jahre nach ihrer Flucht aus Südafrika, als das Telefon klingelte, ein schriller Laut in der tief verschneiten, stillen Winterwelt am Tegernsee, wo sie sich niedergelassen hatten. Jan hatte hier das Internat besucht und Deutsch gelernt. Sie nahm ab und hörte Titas Stimme aus Südafrika. »Henrietta!«, schrie Tita tränenerstickt - sie schrie immer transatlantisch, wie um diese große Entfernung mit der bloßen Stärke ihrer Stimme zu überbrücken -, und für einen angstvollen Moment befürchtete sie, Titas Familie sei etwas zugestoßen, »Henrietta, es ist etwas Wunderbares passiert! Der Kerl hat versucht, seine Schwester

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