Ins dunkle Herz Afrikas
die Unterlippe vor. »Wie langweilig! Er schubste einen Stein mit dem Fuß den Abhang hinunter. »Ich denk, wir sind hier in Afrika, da laufen alle Häuser bei Regen voller Wasser, und Schlangen schwimmen ins Wohnzimmer. Ratten auch. Hast du erzählt!«, rief er vorwurfsvoll.
Die Krone des wilden Mangobaums am unteren Ende ihres Grundstücks schlug heftig hin und her, eine Herde silbergrauer Meerkatzen tobte kreischend durch die Zweige. »O Mann«, schrie Jan, abgelenkt, »sieh dir das an, Affen in unserem Garten, ich meine, richtige, echte, lebendige Affen!« Mit wenigen Sätzen verschwand er in den Büschen unterhalb des Swimmingpools. Ein Pärchen Mainas äugte neugierig hinter ihm her.
»Jan!«, brüllte lan, »komm sofort zurück. Das ist kein deutscher Park hier, das ist afrikanischer Busch! Da gibt es Schlangen, und die Affen sind bissig!«
Die Büsche wackelten wild, Zweige knackten, dann tauchte Jan wieder auf. »Ich hab einen Drachen gefangen!« Seine Stimme überschlug sich. »Mami, einen Drachen - sieh mal!« Mit leuchtenden Augen balancierte der Kleine ein fauchendes Chamäleon auf einem Zweig. »Guck mal, er hat die Farbe gewechselt, erst war er grün, jetzt ist er fast schwarz und hat orange Streifen! Wird der mal richtig groß? Kann er mich dann fressen?« Andächtig kniete er sich vor das Reptil. »Das gibt's nicht in Bayern! Mami, können wir bitte hier bleiben?«
»Wir werden hier bleiben.« Sie hockte sich vor ihren Sohn. »Wir werden nie wieder von hier weggehen.« Ihr wurde die Kehle eng. Sie sah zu lan auf. »Wie ich mich darauf freue, ihnen unser Afrika zu zeigen.«
Es goss die Nacht hindurch, der Sturm riss den Hauptast des alten Mangobaums ab und zerfetzte die Bougainvilleas am Swimming-47
pool. Dann fiel er in sich zusammen und wanderte grollend die Küste nach Norden hoch. Der gleichmäßig rauschende Regen, der folgte, wusch den Staub des zu trockenen Winters weg, und als sie gegen sechs in das blendende Licht der aufgehenden Sonne traten, waren alle Blätter hellgrün lackiert und die Blüten mit diamantenen Tropfen besetzt, die Baumfrösche sangen, und unter ihnen strich ein Schwärm weiß glänzender Ibisse über das Grün der Bäume nach Süden.
Henrietta sah ihnen sinnend nach. »Sie nisten irgendwo im Norden, an den Ufern des Tugela, fliegen jeden Morgen nach Süden auf Nahrungssuche, abends kehren sie zurück. Vor langer Zeit habe ich euch versprochen, dass wir die Nistplätze suchen werden. Damals«, ihre -Stimme klang belegt, als sei sie plötzlich erkältet, »damals, 1968, hatten wir keine Zeit mehr.«
Und ich glaubte, nie wieder hierher zurückkehren zu können, erinnerte sie sich an diesen furchtbaren Moment, als ihr klar wurde, dass sie ihr Paradies für immer verlassen musste. Sie folgte den Ibissen mit den Augen, hörte ihre hohen, wilden Schreie, und ehe sie es verhindern konnte, liefen ihr die Tränen aus den Augenwinkeln. Ungeduldig wischte sie sie weg. Jetzt war sie wieder hier, es gab keinen Grund mehr zur Traurigkeit. Schon morgen könnten sie zur Tugelamün-dung fahren und die Nistplätze suchen.
In den nächsten Wochen ließen sie das Haus, das sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 1968 auf den Namen der Kinder hatten umschreiben lassen, wieder auf ihren gemeinsamen Namen eintragen. Damals hatte man ihnen mit einem willkürlichen Federstrich die Grundlage ihres Lebens in Südafrika genommen, ihre Aufenthaltsgenehmigung. Fortan galten sie als Touristen, die weder Grundbesitz in Südafrika haben noch Geschäfte tätigen durften. Deswegen hatte ihnen der deutsche Konsul geraten, das Haus auf die Kinder zu überschreiben, die durch ihre Geburt Südafrikaner waren. Doch nun war das nur hinderlich und kompliziert, da die Kinder noch klein waren. Schon beim Anmelden gab es Fragen. Die Urkunde wurde geändert, und alles hatte wieder seine Richtigkeit.
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»Nach dem Frühstück zeigen wir euch das Donga-Haus!«, verkündete sie den Kinder. »Außerdem müssen wir uns eine Haushaltshilfe suchen.«
»Und einen Gärtner.« lan betrachete den Boden des Swimmingpools, den eine Schicht verrottender Bougainvilleablüten bedeckte. Sie fuhren mit dem Geländewagen, den Tita ihnen geliehen hatte. »Meine Güte, ist das hier vornehm geworden, selbst die Straße ist geteert!« Sie lachte aufgeregt. Sie würde das Donga-Haus wieder sehen!
Als sie das Dach durch die Bäume schimmern sahen, zerstörte gellendes Geschrei den ruhigen Morgen. Sie zuckte zusammen. »Das kommt
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