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Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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nachzudenken, was sie eben gehört hatte. lan war zwei-undvierzig Jahre alt, Julia und Jan vierzehn, aber in drei Monaten, am 18. Januar 1979, würden sie fünfzehn werden, und sollte dieses Gesetz durchkommen, würde Jan somit der Wehrüberwachung unterliegen. Er und lan könnten dann das Land nur noch mit einer Ausreisegenehmigung verlassen.
    »Jan nimmt nicht wie alle anderen am Kadettentraining teil.« Titas nachdenkliche Bemerkung war eine Feststellung. Sie nahm die Hand von den Augen. »Ja, wir konnten es glücklicherweise verhindern. Den Gedanken, dass unser Sohn militärisch gedrillt und ihm Schießen beigebracht wird ... den Gedanken konnten wir nicht ertragen! Er besucht mit einem anderen Jungen, der aus re-93
    ligiösen Gründen das Kadettentraining verweigert hat, einen Erste-Hilfe-Kurs.«
    Tita spielte mit ihrem Teelöffel. »Ich hab gehört, dass es ihm das Leben nicht leicht macht.«
    »Allerdings.« Sie biss sich auf die Lippen. Seine Schulkameraden hatten ihn mit Spott und Hohn überschüttet, und die Eltern begegneten ihr und lan mit unverhohlener Aggression. Als Jan einmal während einer glühenden Hitzeperiode im Schulbus einen leichten Hitzschlag erlitten hatte - die Jungen mussten selbst im Hochsommer ihre Schuluniform, Wollblazer, Schlips und Kragen, Wollflanellhosen und Kniestrümpfe, tragen, durften nicht einmal im Schulbus, in dem Temperaturen von über sechzig Grad Celsius herrschten, die Blazer öffnen, geschweige denn ausziehen -, hatte sie auf einer Elternversammlung Uniformerleichterung beantragt und von Mrs. Grunter, einer Mutter, eine deutliche Antwort bekommen. »Unsere Jungs«, hatte sie mit stählerner Stimme gesagt, »müssen bald an die Grenze und unser Land verteidigen, da wird es Zeit, dass sie hart werden.« Sie hatte stehenden Applaus erhalten, und ihr war es plötzlich vorgekommen, als ob die strahlende afrikanische Sonne draußen ein kaltes, stechendes Licht verbreitete.
    »Letzte Woche kam er mit blutig geschlagener Nase nach Hause«, sagte sie.
    »Einer seiner Klassenkameraden, Buddy, hat ihn Feigling genannt.« Sie verzog ihre Lippen zu einem schiefen Lächeln. »Als er da vor mir stand, mein kleiner Jan, Gesicht und Haare blutverschmiert, Hosen zerrissen, Hände und Füße viel zu groß - er wird wohl einmal lans einsneunzig erreichen -, Schultern noch so schmal und kindlich - hat es mir das Herz umgedreht.« Sie verstummte. Edward Stratton hatte ihr den Standpunkt des Militärs einst glasklar gemacht. »Wer von diesem Land lebt, kann sich nicht drücken, der muss kämpfen, auch dein Sohn. Und dein Mann«, hatte er hinzugesetzt, »jeder, der unter fünfzig ist und einigermaßen fit, sollte sein Land verteidigen. Deserteure sind Landesverräter.« Die Drohung seiner Worte war ganz unverhüllt gewesen. Die Mittagsglocke im Turm der Oyster Box schlug, harte Schläge, 94
    endgültig wie die Hammerschläge, die den letzten Nagel in einen Sarg trieben.
    O ja, sie konnte sich gut vorstellen, was die sich hier ausdenken würden, um ihre Armee mit jungen Männern zu futtern, denn die Unfälle an der Grenze häuften sich. Auch Edward Stratton hatte es erwischt. Vor ein paar Wochen war er an der Grenze erschossen worden.
    »Nun hat er, was er wollte«, bemerkte Beryl stoisch und ließ Edward verbrennen und seine Asche über dem afrikanischen Busch ausstreuen. »So bleibt er für immer in seinem geliebten Afrika, und ich hab keine Mühe mit dem Grab.«
    Dann gab Beryl eine Verkaufsanzeige für ihr Haus auf, ihre war eine von Hunderten, denn der Exodus hatte begonnen, ein Aderlass, der Südafrika ausbluten sollte. Es waren die Fachleute, die gingen, die Universitätsprofessoren, die Arzte, die die Mittel und Möglichkeit hatten, auf einem anderen Kontinent, in einem anderen Land von vorn anzufangen. Der Großteil derer, die blieben, war arm, hatte keine sehr hohe Schulbildung. Ihre Jobs waren noch geschützt durch die Apartheidgesetze, die bestimmte Berufe für Nichtweiße verboten. Die Aussicht, dass die Rassenschranken fallen könnten, ein Millionenheer von Arbeitsbegierigen auf den Markt strömen würde, ließ sie ihren Kampf gegen die schwarze Befreiungsbewegung umso brutaler führen.
    Beryl verkaufte ihr Haus weit unter Preis, so versessen war sie, Afrika endlich den Rücken kehren zu können. »Hätte Edward sich nicht zwei Jahre früher erschießen lassen können?«, lallte sie in einem alkoholisierten Moment,
    »da hätte ich noch einen ordentlichen Preis bekommen.« Sie

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