Ins Leben zurückgerufen
sagte Tallantire zu Partridge. Nicht, ehe er nicht die Kinder befragt habe.
Partridge explodierte. Er war furchterregend, wenn er aufgebracht war, und es war im gesamten Haus zu hören, wie er Tallantire abkanzelte. Aber Tallantire blieb eisern. Wie wir heute wissen, hatte er den Befehl erhalten, den Fall abzuschließen, bevor der Feiertag zu Ende ging, und er wollte Partridge nicht ziehen lassen, bevor er nicht jeden nur erdenklichen Aspekt berücksichtigt hatte.
Der Streit war auf dem Höhepunkt angekommen, und sein Ausgang war noch offen, als einer von Tallantires guten Geistern erschien und seinem Herrn und Meister etwas ins Ohr flüsterte. Mit einer äußerst knappen Entschuldigung verließ der Superintendent daraufhin das Zimmer.
Sein instinktives Gefühl, daß hinter diesem Fall mehr steckte, als auf den ersten Blick ersichtlich war, hatte Tallantire schließlich bewogen, nach jedem Strohhalm zu greifen. Einer dieser Strohhalme bestand darin, die Kinder zu befragen. Jenny Jones war ein zweiter. Nur um ganz sicherzugehen, daß sich hinter ihren Anspielungen nicht mehr verbarg als der Wunsch nach Aufmerksamkeit, hatte er seinen flottesten jungen Beamten noch einmal zu ihr geschickt.
Und der war auf Gold gestoßen. Groll, Neid, moralische Entrüstung oder einfach der Wunsch, zu Gefallen zu sein, hatten Jenny Jones ausplaudern lassen, daß ihre Kollegin Elsbeth Lowrie in jener Nacht einen der Gäste auf ihrem Zimmer empfangen hatte. Und es sei auch nicht das erste Mal, daß dergleichen vorgekommen sei, und es sei nicht richtig, daß sie, Jenny, die ganze Arbeit tun müsse, während Elsbeth nur deshalb von Mickledore angestellt worden sei, weil sie nicht besser sei, als sie hätte sein sollen.
Elsbeth, eine knackige Blondine, die so aussah, wie sich ein lüsterner Landjunker eine gesunde junge Melkerin vorstellt, hatte keine Veranlassung gesehen, der Polizei am Sonntag die Wahrheit zu gestehen, doch am Montag sah sie noch weniger Grund, weiterhin zu lügen. Freimütig gab sie zu, von Zeit zu Zeit Mickledores Gäste zu unterhalten, aber nur diejenigen, die ihr gefielen, und auch nicht für Geld, denn das gehöre sich nicht. Sie räumte allerdings ein, daß ihre Lohntüte häufig einen Betrag enthielte, den sie sinnigerweise als »eine Art Weihnachtszulage« beschrieb, eine Bezeichnung, die ihr in einigen Krawallblättern die Bildunterschrift
Ein weihnachtliches Knallbonbon
eintrug.
Ihr Gast in der Nacht zum Sonntag war niemand anderes als das ehrenwerte Parlamentsmitglied Thomas Partridge gewesen. Er war kurz vor Mitternacht zu ihr gekommen (wieder diese Uhr) und war möglicherweise eine Stunde später gegangen, dessen war sie sich nicht sicher.
Braver Politiker, der er war, leugnete Partridge das Unleugbare nicht, entschuldigte sich charmant für seine kürzliche Übellaunigkeit und bot als Gegenleistung für maximale Diskretion volle Kooperation von seiner Seite und der seiner Familie an.
Tallantire verkniff sich jeden Kommentar und wies seine Beamten an, mit der Vernehmung der Kinder zu beginnen.
Wie Sie sich vorstellen können, waren wir Kinder von dem Treiben der Erwachsenen fasziniert. Meine Schwester Wendy und ich hatten uns mit den beiden älteren Partridge-Mädchen zusammengetan. Ihr Bruder Tom war seit kurzem in den Klauen der Pubertät, und wir waren für ihn nur geräuschvolle Gören, und die anderen waren natürlich noch nicht in dem Alter, um Spaß an Mitternachtspartys und Doktorspielchen zu haben. Doch vier Kinder zwischen sieben und neun können eine nachrichtendienstliche Zelle bilden, die bei weitem effizienter ist als MI 5, und es gab wenig, das uns entging, wenngleich wir einen Großteil nicht verstanden.
Wir wurden von einem Kripobeamten befragt, dem eine Frau zur Seite stand. Sie, glaube ich, hätte uns lieber einzeln verhört, aber er war der bessere Psychologe und wußte, daß man aus einer Gruppe, die sich nicht unter Druck fühlt und miteinander diskutiert, mehr herausbekommt. Auch machte es die Tatsache, daß wir vier waren, einfacher für ihn, unsere Mütter auszuschließen, obwohl ich bezweifele, daß er heutzutage damit durchkäme.
An seinen Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, doch sein Gesicht habe ich deutlich vor mir. Breit und hart, Augen wie Schießscharten und ein Mund wie der von Moby Dick. Doch wenn er den Mund aufmachte, sprach er sehr freundlich. Er zog eine Packung Zigaretten aus der Tasche, hielt sie mir hin und fragte: »Auch eine?« Damit hatte er mich im
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