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Ins Leben zurückgerufen

Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Sturm erobert. Gern hätte ich eine angenommen, traute mich aber nicht, und er sagte: »Dann vielleicht später. Ich lutsche um diese Tageszeit am liebsten eine dicke Pfefferminzkugel.« Und er zog eine riesige Tüte aus der Tasche und ließ sie die Runde machen.
    Danach waren wir alte Freunde. Die Mädchen fanden ihn eindeutig wunderbar, aber wenn er sprach, richtete er das Wort hauptsächlich an mich, sehr von Mann zu Mann, und warf mir immer wieder einen Blick zu, um eine Bestätigung für alles zu bekommen, was die Mädchen sagten. Ihm gegenüber gaben wir ohne Hemmungen zu, daß wir nicht im Bett gewesen waren, sondern uns in dem Zimmer, das Wendy und ich uns teilten, zu einer Mitternachtsparty getroffen hatten. »Und habt ihr etwas gesehen oder gehört?« fragte er. Inzwischen hätte ich ihm zuliebe sogar etwas erfunden, aber wie sich dann herausstellte, reichte die Wahrheit aus. »Ja, wir hatten ein Geräusch gehört, und aus Furcht, eines der beiden Kindermädchen könne uns auf die Schliche gekommen sein, habe ich die Nase aus der Tür gesteckt. Zuerst hielt ich meine Befürchtungen für berechtigt, denn ich sah Cecily Kohler den Flur hinab auf mich zukommen. Doch sie ging an mir vorbei, wahrscheinlich in ihr eigenes Zimmer, denn ich hörte, wie sich eine Tür öffnete und wieder schloß.« Von welchem Ende des Flurs sie gekommen sei, wollte er wissen. »Von dem Ende, wo die Nebentreppe war«, sagte ich zu ihm. »Und wie sah sie aus?« »Irgendwie blaß und seekrank«, erinnere ich mich gesagt zu haben. »Ach ja, und ihre Hände waren ganz blutig.«
    Das warf ich so beiläufig ins Gespräch. Für einen Achtjährigen ist das Verhalten von Erwachsenen in jeder Hinsicht unbegreiflich. Wie sollten wir Leute verstehen, die die Macht hatten, so gut wie
alles
zu tun, und die dennoch sehr selten Eis aßen oder Achterbahn fuhren? Außerdem waren die Kindermädchen in unserer privilegierten Schicht die großen In-Ordnung-Bringer. Man machte ins Bett, man spuckte sein Abendessen wieder aus, man schrammte sich das Knie auf, und Nanny brachte es wieder in Ordnung. Selbst ich wußte das, obwohl ich gerade ohne Kindermädchen auskommen mußte, weil mein Vater von Natur aus nicht dazu in der Lage war, Dienerschaft zu halten.
    Eine blutverschmierte Nanny war also nicht notwendigerweise etwas Bemerkenswertes.
    Keines der Mädchen hatte sie gesehen, sie hatten sich in Sicherheit gebracht. Doch ich blieb bei meiner Geschichte, und als man in Cecily Kohlers Zimmer ging, bestätigte sie sich, denn man fand in ihrem Waschbecken und an einem Handtuch Blut, das zur selben Gruppe gehörte wie das von Pamela Westropp.
    Doch von Kohler selbst und ihren jungen Zöglingen war weit und breit keine Spur.
    Erinnern Sie sich, daß wir es noch immer nicht mit Mordermittlungen zu tun hatten. Die Waffenkammer war verschlossen gewesen, und es gab jede Menge Hinweise auf einen Selbstmord. Doch bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hätte niemand außer Partridge und Mickledore ein Alibi gehabt, wenn es Mord gewesen wäre. Und mit Elsbeths Aussage hatte sich auch das in Luft aufgelöst. Man hat das Gefühl, daß sich Tallantire wie ein Wissenschaftler, der mittels seines sechsten Sinns einen Satz nach vorn gemacht hatte, nun vor die mühselige Aufgabe gestellt sah, die notwendigen logischen Zwischenschritte nachzuvollziehen.
    Tallantire verschob das Verhör Mickledores, bis die Befragung der Kinder abgeschlossen war. Dann beschuldigte er Sir Ralph unverblümt, als Partridges Lude fungiert zu haben, ein Wort, das ich später in dem großen Wörterbuch nachschlug. Mickledore erwiderte lächelnd, in zivilisierten Kreisen sei man reif genug, selbst zu entscheiden, was man tut und läßt, und er habe nur aus Loyalität zu einem Freund gehandelt, aber er erwarte nicht, daß ein Polizist mit diesem Begriff vertraut sei.
    Tallantire fragte ihn, wie er die der Loyalität gewidmete Zeit verbracht habe, während sein Freund mit der Dienerschaft kopulierte (das dicke Wörterbuch wurde an jenem Tag wirklich tüchtig benutzt!), und Mickledore erwiderte, er sei in die Bibliothek gegangen, habe sich ein Buch geholt und lesend im Billardzimmer gewartet, bis Partridge wieder erschienen sei.
    In der Bibliothek hatte Tallantire sein inoffizielles Hauptquartier aufgeschlagen. Deshalb weiß ich über diese und andere Unterhaltungen so genau Bescheid. Die Vorhänge der Fenster in den tiefen Erkern waren für ein neugieriges Kind ein ideales Versteck, wenngleich ich nach der

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