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Ins Leben zurückgerufen

Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Kohler war jung und töricht, und selbst wenn sie daran beteiligt gewesen war, ein Leben zu zerstören, hat sie auf sehr reale Weise ihr eigenes dafür gegeben. Ich habe sie nur kurz als Kindermädchen gekannt, bevor sie zur Mörderin wurde, doch das reichte, um zu spüren, daß sie uns, die Kinder, ebenfalls liebte, und wir hielten sie alle für wunderbar. Daran erinnere ich mich heute – an ihre Liebe. Kinder brauchen Liebe in Hülle und Fülle, und wenn sie großzügig gegeben wird, vergessen wir das nie und sind immer bereit zu verzeihen.
    Sir Ralph Mickledore wurde am 14. Januar 1964 gehängt. Im folgenden Jahr wurde die Todesstrafe für Mord gänzlich abgeschafft, doch selbst einige wenige Monate hätten ihn wahrscheinlich gerettet, denn da kam wieder eine Labour-Regierung an die Macht. Cecily Kohlers Todesstrafe wurde in lebenslängliche Haft umgewandelt. 1976, kurz bevor sie Straferlaß bekommen sollte, tötete sie eine Gefängniswärterin, mit der sie eine lesbische Beziehung gehabt haben soll. Wieder des Mordes für schuldig befunden, sitzt sie noch immer im Gefängnis und verbüßt die längste ununterbrochene Haftstrafe einer Frau in den Annalen der britischen Rechtsgeschichte.
    Somit endet die Serie
Das Goldene Zeitalter des Mordes
. Raymond Chandler sagte von Dashiell Hammett, er habe den Mord jenen Menschen zurückgegeben, denen er eigentlich gehöre. Dabei hat er mit Absicht übersehen, daß der Mord in der vom Klassensystem bestimmten Welt des britischen Goldenen Zeitalters auf einer Realität beruht, die mindestens so existent war wie Hammetts Gemeinheit der Straße. In meinen Augen macht der Kriminalroman des Goldenen Zeitalters den Snobismus der englischen Gesellschaft lächerlich, wohingegen der abgebrühte Thriller die in der amerikanischen Gesellschaft herrschende Gewalt zum Genuß erhebt. Wer also hat die Moral auf seiner Seite?
    Doch mein Ziel in diesen Sendungen war nicht die philosophische Debatte. Ich wollte vielmehr zeigen, daß eine Gesellschaft, welche die komplexe, künstliche und snobistische Kriminalliteratur hervorbrachte, die als Goldenes Zeitalter bekannt wurde, im wirklichen Leben Morde beging, die dieser Literatur als Vorlage dienten. Es waren allesamt sorgfältig geplante und raffiniert ausgeführte Verbrechen, von Männern und Frauen begangen, die wußten, daß sie ihr eigenes Leben riskierten, wenn sie anderen das Leben nahmen.
    Klinge ich ansatzweise nostalgisch? Wenn ja, wem oder was gilt meine Nostalgie? 1963? Vielleicht. Es ist ein Berufsrisiko des Amateurhistorikers, überall Wasserscheiden zu sehen. Doch mir will es nicht unpassend vorkommen, daß wir in dem Jahr, als wir den Tod des letzten romantischen US -Präsidenten und den Untergang einer britischen Regierung erlebten, die sich vor ihrer moralischen Verantwortung zu drücken versuchte, auch Zeugen des Mordfalls auf Mickledore Hall wurden.
    In späteren Jahren mußte ein Verbrechen, um die Phantasie der Öffentlichkeit anzusprechen, entweder äußerst bestialisch sein, oder es mußte um eine sehr große Menge Geld gehen. Wie die Ereignisse noch im selben Jahr zeigten, war es schon bald möglich, zwei Millionen Pfund zu rauben und zum Volkshelden zu werden, selbst wenn man dabei jemanden zu Tode prügelte. Bis 1963 war es noch möglich, an den Fortschritt zu glauben. Man hatte gerade einen Krieg gewonnen, und dieses Mal würde man ein Land schaffen, das vielleicht nicht für Helden gemacht war, aber doch eine Gesellschaft aufwies, in der Menschen leben konnten. Wir, die wir in den sechziger und siebziger Jahren aufwuchsen und in den schrecklichen Achtzigern erwachsen wurden, haben die Zerstörung dieses Traumes erlebt, ohne je die Freude gehabt zu haben, ihn geträumt zu haben.
    Ist es also überraschend, daß ich Sehnsucht nach einer Zeit empfinde, die noch die Hoffnung kannte? Und ist es sträflich, daß sich meine Sehnsucht sogar auf das erstreckt, was mit Sicherheit das letzte große Mordgeheimnis des Goldenen Zeitalters war?

Acht
    »Dinge, wie Ihr sie hier gesehen habt, sieht man, ohne davon zu sprechen.«
    A ls die Kassette zu Ende war, ging Pascoe hinaus in den Garten und sah zu den Sternen empor, die langsam am Himmel aufgingen. Er war auf dem Holzweg gewesen, was die Sorgen anderer Leute betraf. Sie waren keine Ablenkung, sondern nur eine Vergrößerung der Last.
    Wie lang das Telefon läutete, bevor es seine Benommenheit durchdrang, wußte er nicht. Er eilte zurück ins Haus und nahm rasch den Hörer

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