Ins Leben zurückgerufen
Ganze muß unter uns bleiben.«
»Warum bringen Sie sie nicht jetzt rüber in die Klinik und bringen es hinter sich, bevor er abkratzt?«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß er zum Sterben nach Hause geht. Das weiß ich ganz sicher. Zu Hause kann sie Bellmain besuchen, aber im Allerdale kommt sie noch nicht einmal durchs Erdgeschoß. Es ist dort wie im Pentagon. Mein Weg ist der beste, glauben Sie mir.«
»Sie werden es schon merken, wenn ich Ihnen nicht mehr glaube. Das können Sie
mir
glauben. Melden Sie sich.«
Sie lag auf dem Bett und las in ihrer Bibel, als Jay ins Zimmer kam.
Ohne die Stimme zu erheben, sagte er: »Du hast mitgehört.«
»Ja.«
»Schiete. Nun hör mir mal gut zu, Cissy. Ich muß mit den Kerlen so reden.«
»Was sind das für Leute, Jay?«
»Hesperides. Eine Finanzierungsgesellschaft. Sie finanzieren eine Menge Medienprojekte. Sie haben eine Menge Geld in dich gesteckt, Cissy.«
»Willst du nicht vielmehr sagen, daß sie eine Menge Geld in dich investiert haben, Jay?«
»Vermutlich. Aber ich habe das Geld gebraucht, um dich rauszuholen.«
»Du hast ihnen Versprechungen gemacht? Und Sempernel auch? Du bist ziemlich freigebig mit deinen Versprechungen, Jay. Was ist mit denen, die du mir gegenüber gemacht hast?«
»Du bekommst, was ich versprochen habe, Ciss. Hör zu, ich will ehrlich zu dir sein. Ich stehe bei den Kerlen in der Kreide. Sie haben ein anderes Projekt finanziert, das ich organisiert habe, nur daß es nicht geklappt hat. Nun muß ich ihnen Honig ums Maul schmieren, sonst …«
»Sonst wollen sie ihr Geld zurück? Dann gib es ihnen doch. Sag ihnen, wir bezahlen sie, sobald ich meine Entschädigung bekomme.«
»Die wollen nicht nur ihr Geld zurück, Ciss. Sie wollen es mit ein paar Millionen multipliziert zurück. Und sie nehmen es sehr ernst mit ihrem Ansehen als Firma. Das heißt, sie vertreten die Auffassung, daß jeder, der sie an der Nase herumführt und das ohne Schaden überlebt, schlechte Reklame für sie ist.«
Sie dachte darüber nach, dann schüttelte sie den Kopf.
»Tut mir leid, aber ich sehe nicht, was ich da machen könnte. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich dir dankbar bin. Die meiste Zeit habe ich meine Zweifel. Wenn du getan hast, was du mir versprochen hast, hab ich vielleicht Platz in meinem Kopf, um alles durchzudenken. In der Zwischenzeit kann ich nur sagen, laß diese Leute nicht in meine Nähe, denn ich werde nicht lügen. Das Beste, was ich zu bieten habe, ist Schweigen.«
»Mehr will ich nicht«, sagte er lächelnd. Ihre Blicke trafen sich einen Augenblick, dann wandte er seine Augen ihrem Gesicht zu.
»Cissy, du siehst schrecklich aus! Du darfst nicht die ganze Zeit in der Wohnung sitzen. Du mußt raus an die frische Luft.«
»In New York? Ist ein Wunder passiert, seit ich zuletzt hier war?«
»Nun mach schon«, sagte er.
Sie wollte nicht, hatte aber nicht die Willenskraft, sich ihm zu widersetzen. Die Gebäude ragten drohend in die Höhe, der Verkehr und die Menschen fluteten an ihr vorbei wie Sturzbäche, die sie mitzureißen drohten. Sie war erleichtert, nach einigen Häuserblocks in Richtung Osten den Park zu erreichen. Sie gingen schweigend eine halbe Stunde nebeneinander her, und dann nahmen sie ein Taxi zurück, denn er hatte gemerkt, wie sehr die Straßen sie beunruhigten.
Am nächsten Morgen machten sie wieder einen Spaziergang und noch einmal am Nachmittag. Sie war etwas überrascht, als sie merkte, daß ihr der Park Freude machte. Wenigstens hier hatte sich kaum etwas verändert, und von Zeit zu Zeit fügte etwas, das sie sah, die zerfetzten Ränder ihres in zwei Teile gerissenen Lebens zusammen – wenn etwa der Drachen eines kleinen Kindes im Wind Bocksprünge machte oder ein paar Jugendliche so intensiv Softball spielten, als bestritten sie ein Spiel der World Series. Die Heilung war so prekär wie ein Schneebogen über einer finsteren, bodenlosen Gletscherspalte, doch sie brachte Farbe in ihre Wangen, die nicht ganz verschwand, auch wenn sie schnell wieder verblaßte.
Am vierten Tag kündigte Jay beim Frühstück an, daß er möglicherweise nicht rechtzeitig zu ihrem Morgenspaziergang zurück sei.
»Dann mach ich mich alleine auf den Weg«, sagte sie.
Er sah sie abschätzend an, dann lächelte er.
»Warum nicht?«
Sie stand am Fenster, bis er fünf Stockwerke tiefer auftauchte und auf den Fahrersitz des blauen Lincoln kletterte, der am Flughafen auf ihn gewartet hatte. Seine Geldgeber legten offensichtlich
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