Ins Leben zurückgerufen
Bush um sie bemüht?«
»Nun ja, sie hat mit Sicherheit eine Schwäche für die Kohler entwickelt, das konnte ich sehen. Und wenn Daphne etwas wollte, dann konnte sie sehr anziehend sein. Strahlend, unterhaltsam und einfühlsam. O ja, sie konnte ihren ganzen Charme spielen lassen.«
In ihren Worten schwang eindeutig persönliche Verbitterung mit.
»Und wenn sie die Rolle ablegte, wie war sie dann?«
»Unreif, selbstsüchtig und unsensibel«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Wie vertraut man war, spielte dann keine Rolle. Aus den Sachen, die sie sagte oder tat, ging hervor, daß sie nicht die leisesteste Ahnung hatte, was für ein Mensch der andere war. Wenn jemand gemein ist, ist das eine Sache. Wir können alle damit umgehen. Doch wenn sich jemand über die eigene Gemeinheit nicht im klaren ist, dann wird es wirklich gefährlich. Wie ihr wahrscheinlich aufgegangen ist, der dummen Pute.«
»Wie weit ging die Beziehung der beiden?«
»Ob sie es miteinander machten, meinen Sie? Ich weiß es nicht. Wenn nicht, hätte das nicht an Daphne gelegen. Obwohl, ich hatte den Eindruck, daß sie bereit war, sich zurückzuhalten, weil sie auf eine richtige Affäre mit der Kohler hoffte, wenn die ihren Straferlaß bekam.«
»Glauben Sie, daß die Kohler wegen ihrer Beziehung zu Daphne Bush aus der Haft entlassen werden wollte?«
»Daphne war davon überzeugt«, sagte Mrs. Friedman. »Ich bin mir da nicht so sicher. Die Kohler hatte vorher nie Interesse an ihrer Entlassung gezeigt, obwohl sie seit Ewigkeiten die Voraussetzungen erfüllte. Vielleicht dachte sie ja, daß die Stimmung draußen zu sehr gegen sie sei, weil das kleine Mädchen umgekommen war. Aber sie war schließlich keine Hindley. Ich bezweifele, daß sich nach all den Jahren mehr als eine Handvoll Leute an ihren Namen erinnert hätte.«
»Gibt es einen andern Grund, warum sie ihre Meinung geändert haben könnte?«
Die ehemalige Wärterin dachte nach. »Sie hatte Besuch bekommen.«
»Von wem?«
»Es war im Sommer. Im selben Jahr. 1976. Sie bekam nie Besuch, kein einziges Mal während der ganzen Zeit, die ich sie kannte. Deshalb fiel mir dieser Besuch auf.«
»Können Sie sich an den Namen erinnern? Oder das Aussehen der Person?«
Sie sah ihn mit leerem Blick an, aber es war nicht die Leere der Ahnungslosigkeit.
Schiete! Er hatte sich zu weit aus dem Fenster gehängt. Was immer er gerade tun mochte – diese Frau hier war am Handeln, und er hatte ihren Preis in die Höhe getrieben. Am besten würde er die Identität des Besuchers erst einmal auf sich beruhen lassen.
Er sagte: »Nach diesem Besuch entwickelte Cissy Kohler freundschaftliche Gefühle für Daphne Bush und zeigte Interesse an ihrer Entlassung?«
»Ja, aber in welcher Reihenfolge, kann ich nicht sagen. Außer, daß ich mich manchmal gefragt habe, ob die Kohler nicht Daphne ausgenutzt hat und Daphne bei der Meinung gelassen hat, daß sie die Fäden in der Hand hielte.«
»Ausgenutzt wofür?«
Mrs. Friedman zuckte mit den Schultern. Pascoe hatte wieder das Gefühl, als handele es sich eher um einen taktischen Vorbehalt als um eine echte Weigerung. Er schlug einen anderen Kurs ein.
»Cissy Kohler und Daphne Bush wurden also gute Freundinnen, und die zuständigen Stellen waren bereit, die Kohler ziehen zu lassen. Was geschah?«
»Es war an einem Donnerstagnachmittag. Cissy Kohler war allein in ihrer Zelle. Daphne ging für einen ihrer Herzensergüsse zu ihr. Als nächstes hörte man Schimpfen, dann Schreien, dann ein scharfes Krachen, dann Stille. Ich war eine der ersten in der Zelle. Daphne lag auf dem Boden, die Augen weit geöffnet, ohne etwas zu sehen. Alles war voll Blut. Sie war mit dem Kopf gegen die Türkante geschlagen. Oder war dagegen gestoßen worden, von jemandem, der sie am Haar festgehalten hatte, denn Teile davon waren mit den Wurzeln ausgerissen …«
»Und Cissy Kohler?«
»Sie stand nur einfach da. Sie sagte:
›Ich habe sie getötet.‹
Später, als man sie fragte, ob sie es absichtlich getan habe, meinte sie nur: ›Wie kann man jemanden unabsichtlich töten?‹ Und das war alles. Noch einmal lebenslänglich. Wenn eine Gefangene eine Aufseherin tötet, braucht sie den Erzengel Gabriel zum Verteidiger, und vielleicht schafft noch nicht einmal der einen Freispruch. Übrigens, ganz zu Recht.«
Pascoe ignorierte die Implikation und fragte: »Was hat Ihrer Meinung nach den Streit ausgelöst?«
»Eine wohlfundierte Vermutung? Daphne hat angefangen, über die
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