Ins Leben zurückgerufen
Zukunft zu phantasieren, und da hat die Kohler ihr endlich klargemacht, daß Daphne nichts weiter als einmal jährlich eine hübsche Weihnachtskarte von ihr bekommen würde. Also wurde Daphne gemein und warf mit Dreck. Nur da sie Daphne war, hatte sie keine Ahnung, wie schmerzhaft die Waffe war, die sie gegen Kohler in der Hand hatte. Die flippte aus und schlug zu.«
»Mit Tötungsabsicht?«
Mrs. Friedman zuckte wieder mit den Schultern: »Wie ich schon sagte, das ist egal.«
»Wie war sie nach dem Prozeß?«
»Ich habe sie danach nur noch einmal gesehen. Man hat sie natürlich bald verlegt. Aber ich hatte den Eindruck, daß sie sich wieder in sich selbst zurückgezogen hatte, aber dieses Mal so tief, daß es niemandem gelungen wäre, noch einmal zu ihr durchzudringen.«
»Aber jemand oder etwas hat es doch geschafft«, sagte Pascoe. »Sie ist zu guter Letzt frei.«
»Ja, ich habe darüber nachgedacht, als ich von ihrer Entlassung hörte. Und ich habe mir gesagt: Es ist bereits einmal etwas zu ihr durchgedrungen, warum also sollte es nicht wieder geschehen? Und ich bezweifele, daß es etwas mit dem Weltverbesserer aus dem Fernsehen zu tun hat.«
»Ihre Theorien würden mich sehr interessieren, Mrs. Friedman.«
Bedeutungsvoll klopfte sie mit dem Finger an ihr leeres Glas. Pascoe streckte die Hand danach aus, aber sie schob es von ihm zu Percy Pollock. Der ging damit zur Theke.
Nun lehnte sie sich über den Tisch zu Pascoe. Die Augen hinter ihrer Omabrille waren schwarz wie Kohle und doppelt so hart. Sie wollte feilschen und konnte dabei keinen Zeugen gebrauchen.
»Wenn ich Mr. Pollock richtig verstanden habe, handelt es sich bei diesem Fall eher um eine Privatangelegenheit als um eine offizielle Ermittlung?«
»Doppelstatus, könnte man sagen«, erwiderte Pascoe, auf der Hut. »Warum fragen Sie?«
»Mit den Informationen ist es wie mit der ärztlichen Versorgung, Mr. Pascoe. Privat kostet es mehr als beim NHS . Es ist sogar so, daß es beim staatlichen Gesundheitsdienst so lange dauert, daß sich das Warten kaum lohnt.«
Er sagte: »Wovon ist die Rede, Mrs. Friedman?«
Sie erwiderte: »Nehmen wir mal an, Cissy Kohler benutzte Daphne als Briefkasten, damit sie jemandem schreiben konnte, ohne daß es offiziell bekannt wurde.«
»Ich nehme das mal an.«
»Nehmen wir mal an, jemand schickte über Daphne eine Antwort. Und nehmen wir mal an, jemand habe diesen Brief in seine Hände gebracht. Was dächten Sie, wäre dieser Brief wert, Mr. Pascoe?«
Pascoe lächelte. Er wußte, daß sie jetzt am Feilschen waren, und er würde nicht wieder den Fehler machen, zu großes Interesse zu verraten.
»Nicht viel«, sagte er. »Ein 15 Jahre alter Brief? So wertvoll kann er nicht gewesen sein, sonst wäre er schon längst verkauft worden.«
»Und wenn man ihn für schlechte Zeiten aufgehoben hätte?«
»Das ist möglich«, räumte Pascoe ein. »Aber betrachten Sie es einmal von folgendem Gesichtspunkt aus: Seit langem, seit dieser Ami Waggs die Sache wieder ausgegraben hat, haben die Medien ein großes Interesse an der Kohler. Hätte dieser Brief einen echten Wert, hätte ihn der Besitzer längst für das Hundertfache von dem verkauft, was sich ein armer Gesetzeshüter leisten kann. Ans Fernsehen oder an die Boulevardpresse.« Er trank sein Bier aus. »Ich muß los. Noch eine halbe Stunde, und mein Dienst beginnt, und dann will ich nicht mehr hier sein, Mrs. Friedman, damit mir nichts zu Ohren kommen kann, das nicht ganz koscher ist.«
Percy Pollock, der mitgekriegt hatte, daß das Gespräch zum Stillstand gekommen war, kam an den Tisch und stellte ein Glas Gin vor Mrs. Friedman. Sie trank, ohne ihn anzusehen, und er zog sich wieder zur Theke zurück. Pascoe beobachtete ihr Gesicht. Sie ließ sich nichts anmerken, aber das war auch nicht nötig. Er hatte an zu vielen Befragungstischen gesessen, um ihren Gedankenprozeß nicht auch ohne visuelle Hilfe nachvollziehen zu können.
Er kam ihr entgegen: »Sie haben es bei den Medien versucht, nicht wahr? Aber die haben Ihnen eine Abfuhr erteilt. Sie wollen es nur nicht zugeben, weil Sie befürchten, daß mein Angebot dann in den Keller rutschen würde. Stimmt’s?«
Sie lächelte, mehr wie ein verkleideter Wolf denn eine Großmutter.
»Von gestern sind Sie nicht. Aber ganz richtig liegen Sie auch nicht. Ja, ich habe den
Sphere
angerufen, als man sich wieder für die Kohler zu interessieren begann. Den Brief habe ich allerdings nicht erwähnt. Ich habe nur
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