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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Franz
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plötzlich überdeutlich bewusst wurde. Ich lief unter einem Himmel, der sich vorgenommen hatte, mir den Abschied schwer zu machen. Das Nordlicht ließ ihn leuchten und fließen und wehen, als würde es nur für mich all seine überirdisch grünen Farben ausschütten.
    Und wie aufs Stichwort tauchte Maalia aus dem Schatten auf, als ich am Schuppen ankam, im selben Moment wie Aqqaluk.
    »Hey«, sagte sie und warf Aqqaluk einen kurzen Blick zu.
    Auch ich sah ihn an. Er zuckte die Schultern und versuchte, so wenig schuldbewusst wie möglich zu gucken. »Ich hab sie im Treppenhaus getroffen. Sie muss geahnt haben, dass irgendwas läuft.«
    »Geahnt?« Ich funkelte ihn wütend an. »So was kann man nicht ahnen, wenn niemand quatscht.«
    Maalia legte mir die Hand auf die Schulter. »Er hatwirklich nichts gesagt, Pakku. Aber ist dir nicht klar, wie nervös ihr beide seit Tagen seid?«
    Ich schüttelte unwillig den Kopf. »Du vermasselst noch alles. Verschwinde!«
    »Nein.«
    An dem Blick ihrer schwarzen Augen erkannte ich, dass sie sich nicht wegschicken ließ.
    »Was willst du denn hier?«
    »Weiß ich nicht. Ich weiß ja nicht, was ihr vorhabt.«
    Jetzt mischte sich Aqqaluk ein. »Sie kann uns helfen, wo sie schon mal da ist. Zu dritt sind wir schneller.«
    Ich nahm Svens Schlüssel aus der Hosentasche und schloss den Schuppen auf. Die Kisten standen ordentlich gestapelt neben dem Eingang. Wortlos ging ich wieder nach draußen, holte den Transporter und fuhr ihn direkt vor den Eingang. Wir schleppten die Kisten, schoben sie in den Wagen, verschlossen den Schuppen und stiegen ein. Zu dritt saßen wir nebeneinander und fuhren in Richtung der Kaianlagen. Noch immer hatten wir Maalia nicht erklärt, worum es ging. Vielleicht hatte ich gehofft, dass ihr die Arbeit langweilig werden würde und sie sich vorzeitig verdrückte. Doch das tat sie nicht. Sie stieg mit uns an der dunkelsten Ecke des Hafenbeckens aus, half uns, die schwere Kiste zu kippen, und schaute genau wie Aqqaluk und ich zu, wie das Robbenfleisch ins Wasser sank. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann waren genügend Fische da, um den Beweis unseres Betrugs gründlich zu vernichten. Als Aqqaluk und ich unsere Messer herausholten und anfingen, die Löcher zu bohren, lachte sie ein kurzes, hartes Lachen.
    »Du willst weg, Pakkutaq.« Sie legte den Kopf schief und musterte mich, als müsste sie prüfen, ob ich der richtige Mann für so ein Unternehmen war. Ohne den Blick von mir zu lösen, zog sie ihre Winterjacke aus. Dann hob sie die Arme und zog sich auch noch ihren Pulli über den Kopf. Ich starrte sie an und musste schlucken, Aqqaluk pfiff durch die Zähne und starrte genauso.
    »Idioten«, sagte sie. »Willst du in dem stinkenden Robbenblut liegen?« Sie zog ihre Jacke wieder an, nahm den Pulli und begann, damit die Kiste von innen auszuwischen.
    Aqqaluk platzte los vor Lachen und boxte mir gegen die Schulter. »Überleg’s dir noch mal«, sagte er. »So eine Frau kannst du lange suchen.« Einen Moment lang sah er zu, wie Maalia vor der Kiste kniete. »Vielleicht hab ich eine Chance, wenn du weg bist«, flüsterte er mir zu.
    »Halt endlich die Klappe und arbeite«, fuhr ich ihn an.
    Wieder lachte Aqqaluk und dann hockten wir nebeneinander vor der Kiste, Maalia gegenüber, und stachen mit unseren Messern Luftlöcher in das Styropor. Erst als wir fertig waren, uns im selben Moment aufrichteten und uns alle drei anschauten, begriff ich, dass dies unsere letzten gemeinsamen Minuten waren. Ich sah auf die Uhr meines Handys, steckte es in die Jackentasche und holte tief Luft.
    »Also dann ...«
    Aqqaluk verzog sein Gesicht zu einem Grinsen, das so unglücklich aussah, dass ich den Blick abwenden musste. »Also dann ...«, wiederholte er. Er hob die Arme und ließsie wieder sinken. »Viel Glück, Pakku. Und melde dich mal, wenn du angekommen bist.«
    »Klar. Versprochen.«
    Maalia machte einen Schritt auf mich zu und klopfte gegen meine Jackentasche. »Ich würde es ausschalten«, sagte sie, »normalerweise haben tote Robben kein Handy dabei.« Sie kam noch einen Schritt näher, legte mir eine Hand in den Nacken und zog meinen Kopf zu sich herab. Ihre Haare kitzelten meine Wange und ich fühlte ihre Lippen an meinem Ohr. »Du kommst wieder, Pakkutaq«, flüsterte sie. Es klang wie eine Beschwörung und wie ein Trost.
    Unschlüssig stand ich da und suchte nach irgendetwas, das ich hätte sagen können. Doch ich starrte nur auf meine schmutzigen Schuhe und in meinem

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