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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Franz
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Wahrheit gesagt zu haben. Dabei tat das doch kaum jemand, der sich im Internet rumtrieb, oder? Wer gab schon seine Identität preis? Von Spider wusste ich ja auch immer noch fast nichts. Und falls er tatsächlich glaubte, dass ich ein siebzehnjähriger Junge war, der in Dannenberg lebte, war es sowieso nicht gerade die feine Tour, mich am Abend nach Hamburg zu lotsen. Wollte er etwa, dass ich bei ihm übernachtete, oder wie stellte er sich das vor? Oder war das alles nach wie vor nur ein Spiel?
    Ich würfelte und setzte meine Steine, aber ich hatte Pech und Spider gewann eine Runde nach der anderen. Während ich auf den Computer schaute, versuchte ich,einen Gedanken, einen Satz, zu erwischen, den ich von Sven gehört hatte, als wir am Hafen vorbeigekommen waren. Es war irgendetwas Wichtiges, irgendetwas, das mit der Alaska zu tun hatte. Samstagnachmittag ist sie in Hamburg, hatte er gesagt. Das war es! Die Alaska fuhr nach Hamburg und sie würde ein paar Stunden vor meiner Verabredung mit Spider dort ankommen! Plötzlich kribbelten mir die Handflächen, sie fingen richtig an zu jucken. Die Alaska! Wenn ich jetzt Glück hatte, wenn ich jetzt einen Pasch würfelte, dann würde ich mitfahren, egal wie, dann bekam ich meine Chance.
    Ich klickte auf die Würfel, hörte das vertraute kollernde Geräusch, schloss die Augen und öffnete sie wieder. Ein Pasch! Ein Sechserpasch ... Ich würde es schaffen!
    samstagabend? okay, ich werde da sein
    sicher?
    todsicher

Südwestküste Grönlands, Sommer 2020
    Sie hatten mittlerweile den zweiten Wodka geleert und den Rest des Kuchens aufgegessen. Jonathan war es nicht gewohnt, am Morgen Schnaps zu trinken, und Anga offenbar auch nicht. Sein Gesicht war gerötet und er lachte mehr, als er in Jonathans Erinnerung während einer ganzen Woche gelacht hatte. Aber vielleicht hatte er auch ein falsches Bild von Aqqaluks großem Bruder abgespeichert. So vieles von dem, was er erinnerte, schien nicht mehr zu stimmen.
    Anga schlug Jonathan auf den Oberschenkel und giggelte. »Pakkutaq Wildhausen, auferstanden von den Toten. Wenn ich das Aqqa erzähle ...« Aber dann wurde er wieder ernst. »Hör zu«, sagte er, »du musst jetzt gehen. Ich hab noch zu tun.« Er schaute zur Uhr über der Küchentür; offensichtlich hatte er es auf einmal eilig. »Du könntest einen Frachter nach Nanortalik nehmen, heute Vormittag noch. Freunde von mir bringen Ersatzteile in den Süden, für Daylightmobile. Da kannst du sicher mitfahren.«
    Jonathan zögerte. »Heute noch ... Ich weiß ja gar nicht, ob mein Vater wirklich dort hingezogen ist.«
    Doch für Anga war die Sache ganz einfach. »Wenn du glaubst, dass dein Vater in Nanortalik ist, dann wird es stimmen«, meinte er. »Bevor du darauf wartest, dass am Montag das Amt aufmacht, um das herauszufinden, kannst du dich lieber selbst auf den Weg machen.«
    Aus dem Büro drang die Stimme seiner Kollegin. »Anga! Wo bleibst du denn so lange?«
    »Ich komme!« Anga stand auf. »Geh zum Hafen, zur Ivalu. Sag, dass du von mir kommst. Das Schiff hält auch in Paamiut und Qaqortoq. Da kannst du dich dann nach deinem Vater erkundigen.« Er legte Jonathan den Arm um die Schultern und schob ihn zur Küche hinaus und den Flur hinunter zur Haustür. »Mach’s gut, Freund. Viel Glück«, sagte er und dann fiel die Tür hinter Jonathan ins Schloss.
    Jonathan stand auf dem Platz, wo die Jungs immer noch ihren Ball hin- und herkickten, und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Er hätte den zweiten Wodka nicht trinken sollen; es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Was war mit Anga los gewesen? Dass er keinerlei Fragen gestellt hatte, war Jonathan nur recht gewesen. Aber warum hatte er es auf einmal so eilig gehabt, nur weil seine Mittagspause anstand? Es schien fast, als ob er ihn hatte loswerden wollen. Anga glaubte doch wohl nicht wirklich daran, dass die Toten wiederauferstehen können ... Es war genau wie damals: Er hatte sich wohlgefühlt in Angas Nähe. Aber er verstand ihn und seine Art zu denken nicht.
    Unschlüssig ging Jonathan in Richtung Hafen. Da war wieder dieses Gefühl, dass er das alte Nuuk wiedergefunden hatte. Den Ort seiner Kindheit und Jugend, der ihn verwirrt und deprimiert hatte. Bei dem Gedanken, die Stadt hinter sich zu lassen, und sei es nur für eine Fahrt die Küste entlang nach Süden, verspürte er Enttäuschung und Erleichterung zugleich.
    Die Ivalu war ein mittelgroßes Frachtschiff für Stückgut, ein rostiger Kasten, der neben den

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