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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Franz
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jemand in der Nähe war und durch irgendetwas Verdacht geschöpft hatte. Dann erstarben die Stimmen um mich herum und ich konnte endlich die Styroporkorken herausdrücken. Aber es nützte nichts. Ich bekam kaum noch Luft. Sie hatten die verdammte Kiste zwischen andere geschoben und offensichtlich noch ein paar obendrauf gestellt. So sehr ich auch drückte, der Deckel bewegte sich keinen Zentimeter. Es war stockfinster. Ich steckte fest und der Gestank der toten Robben, die hier vor mir zerstückelt und zusammengepresst gelegen hatten, machte mich wahnsinnig. Ich versuchte, an mein Taschenmesser zu kommen, doch es lag unter mir, ich kam nicht ran. Mein Gott, war ich dumm gewesen! Ich bohrte das Luftloch größer, ich zerfetzte das Styropor mit den Nägeln, aber da war nur eine weitere Styroporwand. Das Handy! Ich fingerte das Handy heraus. In meinem Kopf tobte ein Trommeltanz. Ich muss Hilfe holen, irgendjemanden anrufen! Aqqaluk! Aber wie soll Aqqa mir hier raushelfen? Sven! Er muss diesen Grönemeyeranrufen! Svens Nummer, warum passiert nichts, nur die Scheißmailbox springt an. Warum geht er denn nicht ran? Mein Herz raste und ich schrie.
    Mit diesem Schrei verlor ich die Kontrolle, ich drehte durch. Ich scharrte wie ein Tier mit den Klauen, ich brüllte und würgte und röchelte, ich rang nach Luft, mein Kopf zerplatzte, mein Blut raste, ein Strudel riss mich mit sich, ein rauschendes Nordlicht, ein wildes Trommeln. Gib auf, Pakku! Komm! Ich sank tiefer und tiefer, komm, Pakku, komm ... Ich flog über das Meer und das große eisige Land, immer langsamer flog ich, immer kälter wurde mir, so viel Weiß, so viel Schnee. Ich breitete die Arme aus, gleich würde ich ankommen, gleich war ich frei.
    Dann schlug ich auf. Etwas riss mich zurück. Eiskaltes Wasser, Gletscherwasser. Das Rauschen im Kopf war wieder da, die Übelkeit, das Würgen. Jemand packte mich an den Schultern und schüttelte mich.
    »Wake up! Wake up, verdammt noch mal!«
    »Das Eis ... ich hab’s gesehen ... lass mich ...« Ich sah in ein verzerrtes weißes Gesicht, das Gesicht eines Mannes, den ich nicht kannte. Ich schloss die Augen wieder. Ich war ihm nicht dankbar. Er sollte mich in Ruhe lassen. Mir war so kalt. Warum ließ er mich nicht in Ruhe?
    »Wach auf, du Scheißkerl!«
    Ja, Scheißkerl. Wieder packte er mich, wieder schüttete er mir kaltes Wasser über den Kopf, sodass ich nach Luft schnappte.
    »Sag was! Kannst du mich hören? Ist alles okay?« Er zog mich ein Stück vom Boden hoch. »Sieh mich an, du Idiot! Wie bist du in diese Kiste gekommen? Wer bist du?«
    Ich machte die Augen auf, öffnete den Mund und brachte nur ein Flüstern heraus. »Pakku.«
    Sein verschwommenes Gesicht war direkt vor meinem. »Was hast du dir dabei gedacht, du verdammter Eskimo? Bist du lebensmüde, oder was?«
    »... nach Hamburg.«
    »Du willst nach Hamburg? Als Leiche, oder was? Steh auf!« Er gab mir einen Tritt. Ich hob den Kopf und starrte in einen Himmel aus weißlichen, lang gezogenen Schweinen und blutigen, von Haken durchbohrten Rinderhälften. Wir waren in einem Kühlraum und es war so kalt, dass mir die Zähne aufeinanderschlugen und meine Lippen zitterten. Als ich aufstand, sackten mir die Beine weg und ich hielt mich an einem der gefrorenen Schweine fest, um nicht hinzufallen. Der Mann packte mich wieder beim Arm, zog mich mit sich, öffnete die Metalltür und schleifte mich in einen anderen Raum. Er ließ mich los und ich schleppte mich zu einer Kiste, wo ich sitzen blieb.
    »Wie bist du da reingekommen? Hat Sven mir das eingebrockt? Das wird er mir büßen!« Die Stimme des Mannes hämmerte auf mich ein. Wenn er mich nur einen einzigen Moment in Ruhe lassen würde.
    »Nun rede endlich! Du sprichst doch Deutsch! Du bist doch der Typ, den Sven engagiert hat, oder? Steckt Sven hinter diesem Mist?«
    Sven? Ich hatte ihn angerufen, oder nicht? ... Hatte er tatsächlich Hilfe geschickt? Erst jetzt merkte ich, dass meine linke Hand immer noch das Handy umklammerte. Ich atmete tief durch und sah den Mann an, der da ander Tür lehnte. Auf einmal wusste ich, wer das war. Es war dieser Grönemeyer, mit dem Sven seine Geschäfte machte.
    Ich schüttelte müde den Kopf. »Er hat nichts damit zu tun. Ich hab ihn aus der Kiste angerufen, damit Sie mich rausholen.«
    Der Mann setzte sich auf ein Plastikfass und rieb sich mit seiner fleischigen Hand die Stirn. In diesem Moment ging ein Vibrieren durch das Schiff, ein Dröhnen und Stampfen. Wir schauten uns an

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