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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Franz
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gewesen waren oder wenn sie in irgendeinem Auto gesessen und getrunken hatten, während sich der Schnee auf der Windschutzscheibe hochschob. Dann war Anga manchmal aufgetaucht. Ganz plötzlich hatte er die Tür aufgemacht und seinen betrunkenen Bruder am Arm aus dem Wagen gezogen und war mit ihm durch das Schneetreiben davongestapft. Die anderen Jungs, die zusammengezwängt auf der Rückbank saßen, hatten über Aqqaluk gelacht, aber er hatte ihn darum beneidet, einen großen Bruder zu haben, jemanden, der auf ihn aufpasst.
    Aqqaluk war schon fast am Ende der Straße, als Jonathanendlich losrannte. Jeder Schritt ließ das Blut in seinen Schläfen pochen und er keuchte, als er Aqqaluk eingeholt hatte. Aqqaluk drehte sich zu ihm um und so standen sie sich auf dem Kiesweg gegenüber. Unter ihren Schuhen knirschten die weißen und grauen Steinchen, als wäre es Schnee. Jonathan hob den Blick und sah Aqqaluk in die Augen. Die Feindseligkeit, die er den ganzen Abend gespürt hatte, war verschwunden.
    »Ich habe dich wirklich vermisst, Pakku.« Aqqaluk hatte plötzlich die brüchige Stimme eines alten Mannes. Genauso hatte sein Vater geklungen. Wie eigenartig, dass er sich noch daran erinnerte. Jonathan brauchte eine Sekunde, bis er sich wieder auf den Sinn von Aqqaluks Worten konzentrieren konnte.
    »Ich war so voller Hass auf diesen Mann, der dich umgebracht hat. Und voller Hass auf mich selbst, weil ich mitgemacht habe bei deiner idiotischen Flucht. Und dann habe ich mich gehasst, weil ich deinen Tod ausgenutzt habe, weißt du das, Pakku?« Aqqaluk hob die Hände, als wollte er Jonathan umarmen, schlug ihm jedoch mit der flachen Hand gegen die Brust, nur leicht, aber es reichte, Jonathan wanken zu lassen.
    Jonathan griff nach Aqqaluks Arm. »Niemand hat mich umgebracht. Du warst an gar nichts schuld, Aqqa«, sagte er.
    »Doch. Ich werde es dir erzählen, Pakku. Und danach bist du dran.« Aqqaluk legte Jonathan den Arm um die Schulter. Es war die erste Berührung zwischen den beiden, die echt und unverkrampft war. Ein paar Sekunden standen sie so da und hielten sich aneinander fest, dannließen sie sich los und gingen weiter Richtung Ufer. Der Fjord lag wie flüssiges Blei da, nur an dem Auf und Ab der Möwen, die auf dem Wasser schliefen, erkannte Jonathan, dass er Wellen schlug. Aqqaluks Gang war immer noch schwerfällig, aber es war deutlich, dass er ein Ziel hatte. Er wandte sich stadtauswärts, dorthin, wo ein paar Bootsschuppen standen. Hinter ihnen, am Rande des Fjordes, waren die Feuer der Erdölraffinerie zu erkennen, die vor dem hellen Himmel wie Kerzen flackerten. Jetzt nahm Jonathan auch den öligen Geruch in der Luft wahr.
    Als sie bei dem ersten der Schuppen ankamen, blieb Aqqaluk stehen. »Wollen wir ein Stück rausfahren?«, fragte er, schob den Riegel zur Seite und öffnete die Holztür. Jonathan konnte im Dämmerlicht die schlanken, glänzend lackierten Kajaks sehen, die in Dreierreihen an den Seiten des Schuppens aufgehängt waren.
    »Wem gehören die?« Jonathan spürte eine kribbelige Vorfreude.
    »Zwei davon gehören Masik, sie leitet das Restaurant. Sie fährt manchmal raus, um Saiblinge zu fangen, wenn sie von den Bächen in den Fjord gezogen sind. Inzwischen ist ziemlich viel Dreck im Wasser und sie paddelt hauptsächlich zum Spaß ... Ich bin schon ein paarmal mitgefahren. Sie ist eine tolle Frau.« Aqqaluk lachte zweideutig und Jonathan lachte mit. Wie leicht es plötzlich war, eine Ahnung ihrer alten Freundschaft zu spüren.
    Gemeinsam trugen sie die Kajaks zum Bootssteg und ließen sie ins Wasser. Als sie einstiegen, kam Jonathan auf dem schwankenden Boden ins Straucheln und wäre fast ins Wasser gefallen.
    »Du bist aus der Übung«, sagte Aqqaluk.
    »Es ist verdammt lange her, dass ich in einem Kajak gesessen habe.«
    »Hast du es nicht vermisst?«
    »Manchmal.«
    Sie tauchten die Paddel ins Wasser und ließen das Ufer schnell hinter sich. Lautlos glitten die Kajaks über den Fjord. Jonathan brauchte nur ein paar Schläge, um seinen Rhythmus zu finden. Es war alles wieder da. Das Wissen darum, wie man das Gleichgewicht hielt, wie man zentimetergenau lenkte und wie man seine Kraft so in Geschwindigkeit umsetzte, dass das Wasser glatt wie ein Spiegel blieb. Und auch die Freude, das Boot zu beherrschen und immer schneller voranzutreiben. Er jagte hinter Aqqaluk her. Der Fahrtwind verscheuchte die Mücken, die wie ein Schleier über dem Fjord tanzten.
    Als sie die Boote ausgleiten ließen,

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